Von 27. Juli bis 12. August finden die Olympischen Sommerspiele in London statt: Schwimmen, Laufen, Reiten, Segeln –
der sportliche Wettkampf um Medaillen bei den Olympischen Sommerspielen in London hat begonnen. Das Olympische Gelände liegt im Osten der britischen Hauptstadt. Dort befinden sich auch die ärmsten Stadtteile Londons, erzählt Sonja Dünser.
Stau in London. Die Straßen sind voll, die öffentlichen Verkehrsmittel wie Bus oder U-Bahn überfüllt. In der 8,2-Millionen-Metropole sind die Olympischen Sommerspiele in Gang. Nicht nur die vielen internationalen Olympiagäste verschärfen das Verkehrsproblem zusätzlich, sondern auch die extra für die Mitglieder der Olympischen Spiele freigehaltenen Straßenspuren – die sogenannten „Olympic Lanes“. Sonja Dünser fährt da lieber mit dem Rad. Die gebürtige Vorarlbergerin lebt seit 1999 in London, hat hier lange Zeit im Sozialbereich gearbeitet und studiert seit zwei Jahren Soziale Arbeit.
Beeinträchtigte Bewohner. Die Studentin wohnt mit ihrem neunjährigen Sohn Joshua in Tower Hamlets, einem Stadtbezirk im Osten Londons, der gleichzeitig einer der fünf olympischen Stadtteile ist, die an das olympische Gelände angrenzen. „Die Olympischen Sommerspiele sind ein aufregendes, tolles Ereignis. Doch nicht alle Bewohner sind davon begeistert“, erzählt die Vorarlbergerin. Durch die Bauarbeiten für die Sportstätten und den Bau von Infrastruktureinrichtungen für Olympia ist unter anderem der Stadtteil Tower Hamlets massiv umgestaltet worden. „Straßenabschnitte und Gegenden wurden für die Bewohner gesperrt und sind während der Sommerspiele und der Sommer-Paralympics bis 9. September nicht zugänglich. Gewisse Gebiete sind vom Verkehr abgeschnitten. Das heißt, dass Leute nicht wie gewohnt einkaufen gehen können oder dass Bewohner nicht ihr Auto benützen können. Ein Park mit Freizeitzentrum inklusive Schwimmbad und Fitnesscenter ist für die Anrainer geschlossen worden, weil dort das amerikanische Leichtathletikteam trainiert. In der Nähe meiner Wohnung gibt es keine Zebrastreifen mehr und es ist ziemlich schwierig, die Straße zu überqueren. Besonders ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen oder Familien sind dadurch beeinträchtigt. Das dämpft ein bisschen die Freude über Olympia“, so Sonja Dünser.
Extreme Gegensätze. Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist in keinem anderen Land der EU der Wohlstand so ungleich verteilt wie in Großbritannien. Das trifft auch für die britische Hauptstadt zu, sagt die Vorarlbergerin. „Der Osten Londons ist historisch betrachtet immer das Armenviertel der Stadt gewesen. Dort war die Armut immer höher als zum Beispiel im Westen Londons, in Central London. Die Armenviertel sind oft nur eine Straße von den reichen Stadtteilen entfernt. Ein Beispiel dafür ist das Wirtschaftszentrum Canary Wharf hier im Bezirk Tower Hamlets. Da sind die Gegensätze extrem. Auf der einen Seite Reichtum, auf der anderen Seite Armut. Für viele, die auf der Armutsseite leben, ist Canary Wharf mit seinen Bankenhochhäusern und Wirtschaftsunternehmen unerreichbar, obwohl die Distanz so gering ist.“
Sozialhilfe-Änderungen. Für die arme Bevölkerung Londons wird sich die Lage künftig verschärfen. Der britische Premierminister David Cameron und seine Regierung planen einschneidende Änderungen im Sozialsystem. So soll beispielsweise das Wohngeld für Personen unter 25 Jahren gestrichen werden. „Wenn du arbeitslos bist oder nur ein geringes Einkommen beziehst und eine eigene Wohnung hast, gibt es derzeit von der Wohnungsbeihilfe Unterstützung. Für junge Erwachsene unter 25 Jahren soll diese Hilfe wegfallen. Das Problem ist, dass über eine Million Jugendliche in England arbeitslos sind. Werden die jungen Menschen nicht mehr finanziell unterstützt, können sie ihre Miete oder ihre Lebenshaltungskosten nicht mehr bezahlen und laufen Gefahr, in die Armutsfalle zu geraten. Und da wieder rauszukommen, ist schwer“, so Sonja Dünser. Auch das Kindergeld für alleinerziehende Mütter soll gekürzt werden. „Man muss bedenken, dass die Lebenshaltungskosten in London viel höher sind als im Rest von England und im Rest von Europa. Für manche Familien wird es schwieriger werden, ihre Grundversorgung sicherzustellen.“ Der britische Caritasverband, aber auch die Kirchen übten scharfe Kritik an den geplanten Sozialhilfe-Änderungen. Kardinal Keith O’Brien hat unlängst der britischen Regierung vorgeworfen, sie solle nicht die reichen Kollegen der Finanzbranche schützen, sondern sie sollte an die moralische Verpflichtung erinnern, den Armen im Land zu helfen.
Foodbank. Für arbeitslose und einkommensschwache Menschen stellt beispielsweise die „foodbank“ in London Nahrungsmittel zur Verfügung, die sie von Supermärkten oder privaten Spendern erhält. Die Wohltätigkeitsorganisation, die 1987 gegründet wurde, unterstützt monatlich etwa 9000 Menschen mit Lebensmitteln. Derzeit absolviert Sonja Dünser hier ihr Praktikum. „Erst kürzlich haben wir eine Lieferung von drei Tonnen Essen bekommen. Das reicht ungefähr für eine Woche. Der Bedarf an Lebensmitteln für Bedürftige ist groß und in den letzten Jahren mehr und mehr gestiegen. Hunger ist in London weit verbreitet, obwohl du in einer der wohlhabendsten Städte Europas weltweit lebst. Aber das ist die andere Seite.“