Der Papst, der die Pille verbot und das Konzil rettete
Er ging in die Geschichte ein als Papst, der den Katholikinnen die Einnahme der empfängnisverhütenden Pille hochoffiziell verbot. Weniger bekannt ist die Rolle Paul VI. als Retter des Konzils. Zum Konzilsjubiläum beleuchtet eine neue Biografie seine Persönlichkeit, die stark zwischen Modernität und Ängstlichkeit schwankte.
Im deutschen Sprachraum wird Paul VI. vor allem mit der „Pillenenzyklika“ verbunden. 1968 hat er in der Enzyklika „Humanae Vitae“ mit der ganzen Autorität seines Lehramts erklärt, dass – verkürzt gesagt – jede Form der künstlichen Empfängnisverhütung dem Schöpfungsplan Gottes widerspricht und daher verboten ist. Ein Sturm der Entrüstung ist losgebrochen. Bis heute prägt diese Entscheidung das Bild Pauls VI. in der kirchlichen und säkularen Öffentlichkeit und lässt den „ganzen“ Paul VI. in den Hintergrund treten – was sehr schade ist. Denn Kirche und Gesellschaft haben Paul VI. viel zu verdanken, wie der Kirchenhistoriker Jörg Ernesti in seiner Biografie zeigt. Es ist das erste Lebensbild von Giovanni Battista Montini (1897–1978) im deutschen Sprachraum, das sich auf profundes Quellenstudium stützt.
Diplomat. Unmittelbar nach der Priesterweihe wird Montini in die päpstliche Diplomatenakademie aufgenommen. Drei Jahrzehnte war er an der römischen Kurie tätig, wo er die Karriereleiter aufstieg und schließlich zum engsten Mitarbeiter Pius’ XII. wurde. Überraschend ernannte ihn der Papst 1954 zum Erzbischof von Mailand. Seine Umgebung staunte nicht schlecht, wie sich der diskrete, eher scheue Diplomat zu einem Bischof wandelte, der binnen kurzem Mailand zum Zen-trum moderner Großstadtpastoral machte. Durchblick und Durchsetzung. Kardinal Montini war von der Ankündigung eines Konzils durch Johannes XXIII. begeistert und war bald in die Vorbereitung einbezogen. Als nach der ersten Konzilssession Johannes XXIII. starb, war Montini der „logische“ Nachfolger. In ihm sah man den Kandidaten, der die verschiedenen Strömungen unter den Bischöfen zusammenführen konnte und der fähig war, dem Konzil einen roten Faden zu geben. Nach der ersten Sitzungsperiode herrschte Ratlosigkeit, wie man an-gesichts von 72 Schemata das Konzil jemals zu einem Ende bringen sollte.
Aufbruch und Rückschläge. Als Paul VI. 1965 das Konzil beschließen konnte, war die Kirche verändert: in ihrem Selbstverständnis, in ihrer Beziehung zu den getrennten Christen und in ihrem Verhältnis zur Welt. Zwei Fotos, so betont Ernesti, sagen mehr als lange Erklärungen, wohin Paul VI. die Kirche geführt hat. Bei der Papstkrönung sieht man ihn von Thronassistenten mit Pfauenwedeln umgeben, wenige Monate später ist er der erste Papst der Geschichte, der ein Flugzeug besteigt. Paul VI. auf der Gangway als Zeichen des Aufbruchs. Er reiste in das Heilige Land, zu den Quellen des Glaubens, und nach New York zur UNO. Zwischen diesen beiden Polen ist die Kirche künftig ausgespannt, zeigte Paul VI. Dass es nicht einfach war, in diesem Spannungsverhältnis die Balance zu halten, wurde an den Krisen der nachkonziliaren Kirche deutlich. Der Begeisterung über das Konzil folgte die Ernüchterung (Unsicherheit in der Glaubenslehre und bei der liturgischen Erneuerung, Pillenenzyklika, Infragestellung des Zölibats ...). Auf seinen Reisen in alle Kontinente wurde der Papst begeistert empfangen und es beruhigte sich auch die Lage der Kirche, aber eine gewisse Verbitterung war nicht zu übersehen. In seiner Heimat wurde „Paolo sesto“ (Paul VI.) zu „Paolo mesto“, zum „traurigen Paul“. Der Erfolg des heiligen Jahres 1975 – es kamen Millionen Menschen nach Rom – hat den Papst wieder vertrauensvoller gestimmt.
Wörtlich
Die Kirche macht sich selbst zum Dialog Papst Paul VI. entwickelte in seiner ersten Enzyklika „Ecclesiam suam“ Richtlinien für das Handeln der Kirche. Der Schlüssel zum Verständnis seines Schreibens ist das Wort „Dialog“.
„Die Kirche muss zu einem Dia-log mit der Welt kommen (...). Die Kirche macht sich selbst zum Wort, zur Botschaft, zum Dialog.“
„Vielfältig sind die Formen des Dialogs, der zum Heile führt. Er (...) bindet sich nicht an nichtssagende Apriorismen, legt sich nicht auf starre Ausdrücke fest, wenn diese die Kraft ver- loren haben, den Menschen etwas zu sagen.“
„Wie sehr wünschen Wir, dass der häusliche Dialog (in der Kirche) in der Fülle des Glaubens und tätiger Liebe vor sich gehe, dass er mit Eifer und Familiengeist gepflegt werde (...).“
Der „vergessene“ Papst
Jörg Ernesti, Professor für Kirchengeschichte in Brixen, arbeitet in dem lesenswerten Buch über Paul VI. (1963–1978) die komplexe Persönlichkeit des Papstes treffend heraus: weltoffen im Umgang mit Kunst und Literatur, konservativ in Moral und Dogmatik, bereit zu großen Veränderungen und doch immer wieder zögernd, ein Mann großer Gesten und zugleich leiser Töne. Steht Johannes XXIII. für Aggiornamento, Erneuerung und Öffnung, so ist das Leitwort für Paul VI. Approfondimento, Vertiefung. Vertiefung ist eben mühsamer, weniger spektakulär als der prophetische Erneuerungsruf, bilanziert Ernesti. - Jörg Ernesti, Paul VI. Der vergessene Papst, Freiburg 2012, 374 Seiten, € 30,80