Die führenden Theologen ihrer Zeit taten Teresa von Avilas (1515–1582) Werke als „geschwätzig“ ab. Da sollten sie sich gewaltig täuschen.
Ausgabe: 2012/39, Teresa von Avila, Dr. Findl-Ludescher, Klosterfrau,
25.09.2012 - Hans Baumgartner
Frau Dr. Findl-Ludescher, die Kirchenzeitung hat Sie gebeten, eine Serie über Teresa von Avila zu schreiben. Warum soll man sich heute mit einer Frau befassen, die seit 430 Jahren tot ist? Findl-Ludescher: Die Frage ist nicht ganz unberechtigt. Teresa lebte in einer lang vergangenen Zeit und sie hat mit den Unbeschuhten Karmelitinnen einen Orden gegründet, der bis heute hinter Klostermauern, sehr zurückgezogen von der Welt lebt. Da ist auch mir der Gedanke gekommen: Wäre es nicht viel naheliegender, sich etwa mit Mutter Teresa zu befassen? Sie ist von einem ähnlichen Ideal geprägt, der ganz innigen Gottesliebe und Hingabe, hat das aber in einer unglaublich starken sozialen Aktion gelebt und damit viele „heutige“ Menschen tief beeindruckt. Und dennoch meine ich, es lohnt sich, sich mit ihrer viel älteren Namenskollegin zu beschäftigen. Teresa von Avila ist nicht nur eine großartige, auch heute noch gut verständliche geistliche Schriftstellerin, sie ist bei näherem Hinsehen auch sehr modern.
Worin liegt denn diese „Modernität“, die sie auch für uns interessant macht? Da gibt es mehrere spannende Aspekte. Eine erste überraschende Entdeckung für mich war, dass die Zeit, in der sie gelebt hat, zumindest kirchlich gesehen, mir plötzlich sehr vertraut vorkam. Auch damals standen sich in der Kirche mehrere Strömungen gegenüber: die eher „liberalen“ Theologen, nüchtern, gescheit, analytisch mit einem distanziert- wissenschaftlichen Blick; dann die scholastischen Theologen, die nur auf die „Lehre der Kirche“ geschaut haben und überzeugt waren, dass „die Wahrheit“ nur beim Klerus gut aufgehoben ist. Deshalb waren sie gegen volkssprachliche geistliche Literatur oder Bibelübersetzungen – „die Bibel Christi ist nicht für Zimmermanns Weib“ oder man müsse vor der Bibel Feuermesser aufstellen, um sie vor dem „unersättlichen Appetit“ der Laien, besonders der Frauen zu schützen. Eine weitere Gruppe waren die bewegten Laien, sehr charismatisch, mit „inneren“ Erfahrungen und Bekehrungen. Und dann gab es eine vierte Gruppe, zu der auch die mystischen Theolog/innen wie Teresa von Avila oder ihr Gefährte Johannes von Kreuz dazugehörten. Sie standen irgendwie zwischen den verschiedenen Gruppen von Klerikern und Laien Sie waren überzeugt, dass auch Laien gute, authentische Gotteserfahrungen machen können und dass es wichtig ist, ihnen gute Nahrung zu geben und sie darin zu stärken, einen eigenständigen Glauben zu leben. Eine Situation also, die uns gar nicht so fremd ist.
Und wie hat sich Teresa in diesem Spannungsfeld bewegt? Gar nicht so schlecht, zumal, wenn man bedenkt, dass sich die scholastische Gruppe –auch mit Hilfe der Inquisition – durchzusetzen versucht hat. Teresa selbst wurde mehrfach verhört. Vielleicht hat ihr geholfen, dass sie als Frau nicht ganz so ernst genommen wurde. Aber sie war auch recht diplomatisch. Sie hat immer geschaut, dass sie zu einigen anerkannten Theologen gute Kontakte hatte, die ihr zu ihren Werken ein Vorwort oder ein Gutachten geschrieben haben, und sie ließ sich von diesen auch beraten, ob man das so oder so schreiben kann. Es ging ihr ja um die Sache, nämlich um die gute Nahrung für ihre Mitschwestern. In einem aber hat sie nie nachgegeben: Entgegen der scholastischen Doktrin, dass nur die Lehre der Kirche, aber nicht die eigene Erfahrung eine Quelle des Glaubens sein könne, hat sie stets gesagt, sie schreibe nur, was sie selbst erfahren habe. Sie, die zuinnerst bewegende mystische Erfahrungen gemacht hat, war zutiefst überzeugt, der Schlüssel für den Glauben ist die persönliche Begegnung mit Gott – und dazu ist jede und jeder auf seine und ihre Art fähig und begnadet, ob Handwerker, Theologe oder Nonne. Das ist ungemein modern, wenn man sich den heutigen Diskurs um die „Evangelisierung“ anschaut, wo die einen auf Doktrin (Katechismus) setzen und andere meinen, man müsse sich viel mehr auf die Erfahrungen der Menschen einlassen, auf ihre Sehnsüchte, ihre Fragen, ihre Dunkelheiten. Aber war da Teresa mit ihren mystischen Erfahrungen nicht sehr privilegiert? Was kann sich da Hugo oder Simone „Normalchrist/in“ davon abschneiden – oder gar Suchende? Keine Frage, Teresa war, auch in ihrem Alltag, getragen und beseelt von beeindruckenden mystischen „Liebeserfahrungen“, die ihr Herz entflammt und sie zu einer lebenslangen innigen Freundschaft mit Jesus geführt haben – aber sie hat diese Erfahrungen auch wieder ganz stark relativiert. Sie zu haben oder nicht ist nicht entscheidend dafür, dass jeder Mensch seinen Weg mit Gott finden kann. In immer neuen, starken Bildern hat sie von der „Schönheit der Seele“ gesprochen; von der Burg, in der viele Dinge unseres Daseins, unsere Hoffnungen und Sorgen, unsere Beziehungen und auch unser Alltag, Platz haben, aber in deren innerstem, schönstem Raum der Platz reserviert ist, um Gott zu begegnen. Das ist eine unglaubliche Zusage und Aufwertung jedes Menschen – auch für unser Miteinander. Und gerade in unserer Zeit, wo umgangssprachlich so viel von seelischen Verletzungen, von seelischer Gesundheit, von vielfältigen Bedrohungen der Seele die Rede ist, finde ich es einfach großartig, wenn sie sagt, die Schönheit der Seele ist kein Privileg von Auserwählten, sie ist ein Schatz, den Gott in jeder und jedem angelegt hat, ein wunderschöner Garten, der uns einlädt, ihn zu betreten und zu pflegen. Wie das jemand macht, ob sie mit einem Schöpfer jeweils Wasser vom Brunnen holt, um die Pflanzen liebevoll zu gießen, oder ob er einen Kanal baut, ist ihre, ist seine Sache. Und das finde ich auch so toll an Teresa, dass sie den Menschen, und zwar jeder und jedem, zutraut, den für sie passenden Weg zu erkunden. Entscheidend ist für sie, die auch im Umgang mit Menschen eine ungemein freundschaftsbegabte Frau war, in die Freundschaft mit Jesus einzutauchen. Es ist ihr nicht so wichtig, wie, wo und was jemand betet, sondern dass man diese Freundschaft, die Gott für uns bereit hält, entdeckt und pflegt, wie jede menschliche Freundschaft. Auf die Klage von Mitschwestern, dass sie wegen der vielen Arbeit zu wenig zum Beten kämen, meinte sie einmal, auch das Geklapper der Kochtöpfe kann ein Gebet sein, wenn man in der Freundschaft Gottes lebt. Ganz wichtig ist Teresa auch, dass diese Freundschaft nicht bloß ein „innerer Schatz“ ist. Denn, so sagt sie, die Liebe zu Gott kann man nicht sehen, aber die zu den Menschen schon – ob man nun für die Mitschwestern kocht, abwäscht oder sich aufmerksam umeinander kümmert. Sie ist eine Frau, deren Glaube, trotz ihrer mystischen Erfahrungen, so ungemein geerdet und lebens- nah ist. Da passt auch gut dazu, dass sich Teresa über längere Zeit in die Rolle der Jüngerin Jesu versetzt hat, die mit ihm auf den Stationen seines Lebens unterwegs ist.