Das Hirtenwort zur Familie: Die Kirche sei oft auf einsamem Posten in unserer Gesellschaft, wenn sie Ehe und Familie beschütze und verteidige. Sie tue es aus Barmherzigkeit und nicht aus Härte.
Ausgabe: 2012/40, Barmherzigkeit, Härte Familie
04.10.2012
Ehe und Familie – die Zukunft
„Das Wohl der Person sowie der menschlichen und christlichen Gesellschaft ist zu innerst mit einem Wohlergehen der Ehe- und Familiengemeinschaft verbunden.“ Diese Worte des Konzils (Gaudium et Spes, Nr. 47,1) finden heute, nach fünfzig Jahren, nach wie vor breite Zustimmung, auch in der säkularen Gesellschaft. In den Jugendstudien zeigt sich, dass für die junge Generation die Werte von gelingenden Ehe- und Familienbeziehungen an oberster Stelle stehen. Die Sehnsucht nach guter und treuer Partnerschaft und nach Familie ist unverändert groß. Sozialwissenschaftler weisen warnend darauf hin, dass in Zeiten eines schwächer werdenden Sozialstaates das sicherste Auffangnetz eine große Familie darstellt.
Brüchiges Familiennetz
Wir wissen aber auch, wie brüchig dieses Netz, wie krisenanfällig die Beziehungen in Ehe und Familie sind. Angesichts vielfältiger Situationen von Scheidung, Wiederverheiratung, unverheiratetem Zusammenleben und anderem mehr wird seit langem der drängende Ruf laut, die Kirche möge diesen Situationen mehr entgegenkommen, barmherzige Lösungen zulassen. Auch hier wird „Reformstau“ geortet. So ergibt sich oft eine paradoxe Situation: „Weltliche“ Stimmen appellieren, die Wichtigkeit von Ehe und Familie für den Zusammenhalt der Gesellschaft zu sehen und zu schützen. „Kirchliche“ Stimmen fordern eine „offenere“ Praxis im Umgang mit Situationen des Scheiterns und Neuanfangs. Dieses Hirtenwort zum „Jahr des Glaubens“ kann keine einfachen Rezepte, keine fertigen Lösungen vorlegen. Wir bitten nur herzlich Euch alle, Brüder und Schwestern, um ein gemeinsames Bemühen, die Situationen vor allem im Licht des Glaubens zu sehen. In diesem Licht erscheinen Ehe und Familie zuerst als von Gott gewollte und geheiligte Wege. Ohne den Glauben ist es daher auch nicht möglich, Jesu Worte anzunehmen, die die Unauflöslichkeit der Ehe begründen: „Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“ (Mt 19,6). Jesus selber hat den Jüngern gegenüber betont: „Nicht alle können dieses Wort erfassen, sondern nur die, denen es gegeben ist“ (Mt 19,11).
Der Kirche wird Unbarmherzigkeit vorgeworfen
Oft wird „der Kirche“ Unbarmherzigkeit vorgeworfen, wenn sie versucht, die Treue zur Weisung Jesu gegen alles Unverständnis unserer Zeit zu wahren. Viel zu wenig wird darauf hingewiesen, dass Jesu Worte über die Unauflöslichkeit der Ehe aus Seinem Erbarmen mit uns Menschen kommen und dass viel Leid, viele Verletzungen, auch viel Unbarmherzigkeit durch unsere Untreue Seinem Wort gegenüber entstehen, unter denen Partner, Kinder, ganze Familien oft schwer zu leiden haben.
Die Kirche ist oft auf einsamem Posten in unserer Gesellschaft, wenn sie Ehe und Familie beschützt und verteidigt. Sie tut es aus Barmherzigkeit und nicht aus Härte. Aber sie hat sich auch immer neu an Jesu Haltung den Sündern gegenüber zu orientieren, die die Sünde benennt, dem Sünder aber voll Barmherzigkeit begegnet. Jesus lässt auch die, deren Beziehung in Brüche gegangen ist, nicht alleine zurück. Durch den Glauben schenkt er Heilung und Neuanfang.
Weg der Klarheit und auch der Milde
Wie aber, so wird oft zu Recht gefragt, soll dies praktisch aussehen: die Sünde als Sünde sehen und benennen und doch mit dem Sünder barmherzig sein? Hier werden oft von uns Rezepte erwartet, die wir nicht geben können, generelle Lösungen, die mit den klaren Worten Jesu und mit der Treue zur Lehre der Kirche unvereinbar sind. In unseren Diözesen bemühen wir uns, einen Weg der Klarheit und auch der Milde, der Treue und der Barmherzigkeit zu gehen. Wenn uns vorgeworfen wird, dies sei unehrlich oder gar die Förderung einer Doppelmoral, so schmerzt das. Wir können und wollen nicht aufgeben, was der Herr selber seiner Kirche als klare Weisung gegeben hat. Wir müssen daran erinnern, dass seine und der Kirche Strenge Ausdruck seiner Barmherzigkeit ist, die uns vor Irrwegen und Schäden bewahren will. Wir wissen aus reicher Erfahrung, dass die Treue zu Gottes Geboten Opfer abverlangen kann, dass aber diese Opfer oft große Fruchtbarkeit erwirken. Johannes der Täufer hat sich nicht gescheut, seinem König die Wahrheit über seine unerlaubte Ehe zu sagen. Er hat es mit dem Martyrium bezahlt, das am Beginn des Wirkens Jesu steht (vgl. Mk 1,14; 6,17–29). Jesus selber aber hat jeden von uns auf unsere eigenen Sünden verwiesen („Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie“), um dann der Ehebrecherin zu sagen: „Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr“ (Joh 8,1–11).
Diese Spannung zwischen Wahrheit und Barmherzigkeit werden wir immer neu auszuhalten haben. Es gibt keine echte Barmherzigkeit ohne Wahrheit. Aber Wahrheit, die ohne Barmherzigkeit gesagt und gefordert wird, ist kein Zeugnis für Christus. Dem hl. Franz von Sales, dem gütigen Bischof, wird das Wort in den Mund gelegt: „Man fängt mehr Fliegen mit einem einzigen Tropfen Honig als mit einem ganzen Fass Essig.“