Am 11. Oktober 2012 werden alle Kirchen-glocken läuten – zur Erinnerung an die Eröffnung des 2. Vatikanischen Konzils vor 50 Jahren. Das Buch „Erinnerung an die Zukunft“ analysiert die Bedeutung des Konzils.
Ausgabe: 2012/41, Kurswert, Konzil, Kirchenversammlung, Peter Hünermann, Eberhard Schockenhoff, Konzils-Jubel-Broschüre
09.10.2012 - Josef Wallner
Anfangs überwog die Sorge bei den Planern des Konzils-Gedenkens. Sie ist Geschichte, wie kann diese Kirchenversammlung heute noch Christen ansprechen? Offensichtlich tut sie es. Ein Blick in den Online-Kalender der Deutschen Bischofskonferenz z. B. zeigt, dass die einzelnen Tage nur so überquellen vor Terminen: Gottesdienste, Vorträge und Symposien. Und nicht nur im Oktober. Das überrascht. Denn kirchenintern mehren sich in den vergangenen Jahren die Stimmen, die dem Konzil die Schuld für die derzeitige Kirchenkrise zuschieben. Jetzt melden sich plötzlich andere zu Wort: Jene, und zwar quer durch alle Generationen, die an den Begriff „Konzil“ hohe Erwartungen knüpfen. Sie hoffen auf eine Kirche, die offen im Dialog mit der Welt steht und die sich innerhalb der eigenen Reihen nicht durch Absprechen der Rechtgläubigkeit, sondern im Dialog den drängenden Fragen stellt. Der kirchliche Börsenkurs des Konzils scheint in die Höhe geschnellt zu sein. Damit die Hoffnungen, die sich mit dem Konzil verbinden, nicht im Unbestimmten bleiben, ist eine Beschäftigung mit seinen Inhalten notwendig.
Keine wissenschaftlich Haarspalterei
Eine hervorragende Hilfe bietet die Theologische Fakultät der Universität Wien. Sie veranstaltete im Jänner und April 2012 das Symposium „Erinnerung an die Zukunft“, das sich mit den vier „großen“ Konzilsdokumenten (Über die Liturgie, die Kirche, die Offenbarung und die Kirche in der Moderne) auseinandergesetzt hat. Ein eigener Tag war der Ökumene gewidmet. Das Ergebnis der Tagung liegt nun vor, rechtzeitig vor den Konzilsfeierlichkeiten. Denken kommt vor dem Jubilieren: Das Werk ist ein Fachbuch, aber es verliert sich nicht in wissenschaftlichen Haarspaltereien. Im Gegenteil: Die Professor/innen der Wiener Fakultät und Konzilsexperten wie Peter Hünermann, renommierte Theologen wie Eberhard Schockenhoff oder die Kurienkardinäle Walter Kasper und Kurt Koch haben einzelne Dokumente und Themen analysiert. Sie arbeiten die Bedeutung der Konzilstexte für heute heraus und gehen wie z. B. bei der Liturgiekonstitution ausführlich auf aktuelle Fragestellungen ein (Erlaubnis der anglikanischen Liturgie und der „tridentinischen“ Messe).
Was beim Konzil offen blieb
„Erinnerung an die Zukunft“ ist keine Konzils-Jubel-Broschüre geworden. Selbstverständlich benennen die Autor/innen (lediglich drei sind Frauen) auch jene Bereiche, die am Konzil offen geblieben sind oder einer Weiterarbeit bedürfen. Die 28 Beiträge des Buches aufzuzählen sprengt den Rahmen dieser Rezension, es kann hier nur um Grundanliegen gehen. Breiten Raum nimmt die Frage ein, wie das Konzil richtig zu deuten ist. Stellt es einen Bruch mit der Tradition dar, der, wie die Piusbruderschaft meint, wieder zurückzunehmen ist, oder ist es ein Impuls der Erneuerung aus der Tradition, den Papst Benedikt als „Hermeneutik der Reform“ bezeichnet? Schlüsselbeitrag ist in diesem Zusammenhang „Das Zweite Vatikanische Konzil als kirchlicher Diskurs über die Moderne“ vom Wiener Philosophen Hans Schelkshorn ebenso wie die „Verbindlichkeit des Konzils“ von Jan-Heiner Tück, dem Wiener Professor für Dogmatik und Organisator des Symposiums. Das Werk „Erinnerung an die Zukunft“ ist ein gelungener Beitrag, damit das gegenwärtige „Kurshoch“ des Konzils an der kirchlichen Börse nicht nur ein Strohfeuer bleibt.
Jan-Heiner Tück, Erinnerung an die Zukunft. Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg: Herder 2012, 656 Seiten, 24,99 €