„Ich habe den natürlichen Umgang mit Religion gelernt“
Hans-Joachim Frey leitet seit Jänner das Linzer Brucknerhaus. Mit der KiZ sprach er über Russland, Religion und die Leidenschaft, für eine Aufgabe alles zu geben.
Sie waren in Deutschland und Russland tätig. Was fällt Ihnen kulturell im Vergleich zu Österreich auf? In Österreich gibt es mehr Kulturinteressierte und mehr Geld im Verhältnis zur Einwohnerzahl. Kultur ist ein gesellschaftliches Thema. Ich rede mit Leuten aus der Wirtschaft über Konzerte oder das neue Musiktheater, das erlebe ich in Deutschland nicht. Auch mit Russland geht man hier offener um. Deutschland will den Russen immer erklären, wie Demokratie funktioniert. Die Österreicher denken sich das vielleicht, heißen aber die Menschen freundlich willkommen.
Beim Brucknerfest im kommenden Herbst sind russische Musikschaffende zu hören. Planen Sie die Achse Linz – Russland zu verstärken? Russland ist riesig und es gibt so viel zu entdecken, auch in den angrenzenden Staaten. Hier trifft man hochkarätige Künstlereinheiten auf Spitzenniveau mit einer unglaublichen Liebe zur Kultur und einem anderen Ethos. Und diese Kulturschaffenden zu entdecken, soll auch ein Alleinstellungsmerkmal für das Brucknerhaus und für Linz werden.
Wo sehen Sie die Chancen für das Brucknerhaus neben dem neuen Musiktheater? Ich glaube an eine ideale Ergänzung. Das Musiktheater produziert mit einem eigenen Ensemble. Wir können die Pflege der österreichischen Kulturszene in den Mittelpunkt stellen, indem wir freie Ensembles engagieren. Aber ich kann genauso internationale Künstler bis zu den größten Ensembles aus aller Welt hierherholen. Damit habe ich schon begonnen.
Bei einer Pressekonferenz kündigten Sie Kurzfestivals im Brucknerhaus an ... Wir planen für die Zeit nach dem Brucknerfest Viertagesfestivals, um die Arbeit zu konzentrieren. Die großen Abonnements laufen weiter, die Matineen mit den großen Orchestern und die Jazzreihen. Ab 1. Oktober findet jeden Dienstag eine Jugendreihe statt unter dem Titel „Meisterinterpreten von morgen“. Darüber hinaus konzentrieren wir das gesamte Programm jeden Monat in vier Tage. Vier Tage Opernstimmen, vier Tage Advent und Weihnachten, vier Tage Weltmusik, Alte Musik, Passionsmusik, Instrumentalmusik und Moderne Musik, insgesamt sieben Festivals. Das setzt Ressourcen frei für Gastveranstaltungen, denn unser Haus soll offen sein.
Sie sind ausgebildeter Opernsänger, Musiktheaterregisseur und Kulturmanager. Haben Sie dadurch einen anderen Zugang zu Kulturschaffenden? Auf jeden Fall. Ich sehe mich zu fünfzig Prozent selbst als Künstler. Ich werde im nächsten Jahr Inszenierungen probieren, und das ist unglaublich befruchtend. Man lernt andere Kunstschaffende kennen und das schärft das eigene Kreativpotential. Ich weiß um die Sorgen und Nöte. Kunstschaffende lesen zu lernen, fällt mir sicher leichter.
Sie sind auch ausgebildeter Kirchenorganist. Haben Sie noch Zeit, die Orgel zu spielen? Leider nein. Das, was ich mache, mache ich immer zu hundert Prozent – oder gar nicht. Mein Vater war evangelischer Pfarrer, daher habe ich angefangen, Orgel zu spielen und wollte das auch studieren. Mit 18 habe ich die Oper kennengelernt und wollte Sänger werden. Tag und Nacht habe ich daran gearbeitet, dann bin ich in den administrativen Bereich gekommen. Mit 30 hatte ich einen Vertrag an der Semperoper. Ich habe nie wieder gesungen oder Orgel gespielt.
Haben Sie den Eindruck, dass Sie als Organist einen anderen Zugang zu Anton Bruckner haben? Ich habe Bruckner nie aus dieser Perspektive gesehen. Als ich Kirchenorgel gespielt und im Chor gesungen habe, war ich sehr geprägt von Barockmusik. Dann habe ich die ganze Welt der Oper kennengelernt, und Richard Wagner. Ich habe eine große Liebe zu seiner Musik entwickelt. Parallel dazu habe ich Anton Bruckner lieben und schätzen gelernt.
Wie hat sich ihre Liebe zu Richard Wagner entwickelt? Während des Studiums habe ich in einer Wohngemeinschaft gelebt. Einer meiner Mitbewohner hat Tag und Nacht Wagner gehört. Ich habe die Musik abgelehnt und wollte mit dem Ideologen Wagner nichts zu tun haben. Dann kam ich nach Dresden. Wagner hat einundzwanzig Jahre hier verbracht. „Rienzi“, „Tannhäuser“ und „Der fliegende Holländer“ sind hier uraufgeführt worden. Er hat „Lohengrin“ hier komponiert. 1999 wurde ich nach Bayreuth eingeladen und bin zwölf Jahre lang sechs Wochen in Bayreuth gewesen. Katharina Wagner hat „Rienzi“ in Bremen inszeniert, als ich Intendant am Theater war. Daraus ist eine Freundschaft zur Familie Wagner entstanden. Und irgendwann war ich Wagner-süchtig.
Ein Schwerpunkt des Brucknerfestes ist „Entartete Musik“, wie es die Nationalsozialisten nannten. Sie übernahmen 1938, vor 75 Jahren die Macht. Was bedeutet ein solches Gedenkjahr für Sie? Ich kam von Deutschland nach Linz und mir war es wichtig, neben der Kultur auch ein kleines politisches Statement abzugeben. Es hat sich gefügt, dass wir in Kooperation mit dem Verein EntArteOpera arbeiten, und dass wir die Oper „Spiegelgrund“ von Peter Androsch aufführen. Schon am 4. Juni präsentieren wir das Wolgograd Orchestra. 70 Jahre nach der Schlacht sitzen Stalingrader Musiker bei uns auf der Bühne. Das bedeutet mir etwas, aber nicht mit erhobenem Zeigefinger. Themen aufgreifen, erinnern, sensibel machen, das ist mein Thema. Ihr Vater war Pastor. Was haben Sie aus einem religiös geprägten Haushalt mitgenommen? Den natürlichen Umgang mit Religion. Kirche gehört zum Alltag. Ich bin christlich geprägt, aber offen gegenüber anderen Religionen. Große Gottesdienste in der russisch-orthodoxen Kirche bewegen mich sehr oder die Rituale im großen buddhistischen Kloster am Baikalsee. Ich glaube an eine höhere Institution. Wie sie aussieht, das kann jeder ein Stück für sich selbst entscheiden.
www.brucknerfest.at