Soziale Spannungen im Wohlfahrtsstaat – das ist nicht erst ein Thema der heutigen Zeit. Der Traum einer gerechten Welt ist nicht nur Wunschtraum – er entspricht dem Willen Gottes. Das Buch des Propheten Amos ist ein starkes Dokument des Schreies nach Gerechtigkeit.
Das Buch Amos erzählt von einem Propheten Israels im achten Jahrhundert vor Christus. Es führt damit in eine Zeit, die von politischer Stabilität sowie wirtschaftlichem Aufschwung und Wohlstand geprägt war. Die beiden Königreiche Israel und Juda waren auf bestem Weg dazu, sich von sehr bescheidenen Anfängen zu einem Staat mit einer ausgebauten Verwaltung zu entwickeln. Eine geordnete Verwaltung, Rechtssicherheit und eine stabile Herrschaft waren wichtige Voraussetzung dafür, dass Wirtschaft und Handel aufblühen konnten. Obwohl viele Menschen davon profitierten, brachte die Umgestaltung auch soziale Veränderungen mit sich und die Unterschiede zwischen den Bevölkerungsgruppen wurden größer.
Während sich auf der einen Seite die Lebensweise einer kleinen Oberschicht internationalen Standards anpasste und die Bevölkerung der Städte vom Ausbau der Verwaltungszentren profitierte, verarmte ein Teil der Landbevölkerung. Hohe Steuerlasten und Verschuldung zwangen vor allem Kleinbauern dazu, ihr Land zu verkaufen, was in der Folge zur Anhäufung von Grundbesitz in den Händen reicher Großgrundbesitzer führte.
Auf der Seite der Armen
Während diese Zeit aus der Perspektive der Könige und Herrschenden, aber auch der „Mittelschicht“ dennoch als eine gute Zeit, eine Zeit relativen Wohlstands bewertet wurde, nimmt das Buch Amos eine andere Perspektive ein und lässt in der Gestalt des Propheten einen Fürsprecher der armen Bevölkerungsgruppe auftreten. Jenen Menschen, die sonst als Verlierer an den Rand gedrängt werden und die keine eigene Stimme haben, leiht Amos seine Stimme. Der Blick, den das Buch Amos auf Israel im achten Jahrhundert wirft, ist damit keine objektive Schilderung der Zeit, sondern eine harsche Kritik aus der Perspektive der gesellschaftlichen Verlierer.
Eine weitere Besonderheit prägt das Buch Amos: Es berichtet zwar von Israel in der Zeit des achten Jahrhunderts vor Christus, aber es ist kein Dokument aus dieser Zeit, sondern ein Rückblick darauf. Aus einer großen zeitlichen Distanz nimmt das Buch die damaligen Ereignisse in den Blick und schildert diese für Zuhörer gut 200 Jahre später.
Inzwischen hat sich die Situation grundlegend geändert, die ehemals selbstständigen Königreiche Israel und Juda waren von den Großmächten annektiert worden. Sie sind nun Teil des babylonischen und später persischen Reichs. Warum und mit welcher Absicht schildert das Buch die eigene Geschichte unter diesem Blickwinkel? Wozu dieser kritische Rückblick?
Der Traum von Gerechtigkeit
Es geht um den „Traum von einer gerechten Gesellschaft“. Dieser Traum, so stellt es das Buch Amos dar, ist nicht nur der idealistische, aber unrealistische Wunschtraum eines Einzelnen, sondern es ist Gottes Traum und zugleich Gottes Erwartung an die menschliche Gesellschaft. Mit dieser provokanten Grundbotschaft lässt das Buch die Figur des Propheten die Zustände Israels im achten Jahrhundert in den Blick nehmen. Die kritischen Analysen der sozialen Zustände, die schonungslose Offenlegung der Missstände sowie die erschreckend pessimistischen Zukunftsprognosen wollen die Perspektive der Hörerinnen und Hörer des Buches verändern.
Rückblick in die Gegenwart
In provozierenden Bildern und Anklagen legen die Reden des Propheten die Verblendung der Menschen offen und zeigen auf, welche Konsequenzen politisches und wirtschaftliches Agieren hat, das zu Gunsten der Gewinnmaximierung die sozialen Auswirkungen des Handelns ignoriert. Die Worte des Propheten formulieren das radikal: Die Folgen werden die Menschen einholen, ob sie es wahrhaben wollen oder nicht.
Für die Hörerinnen und Hörer des Buches sind die Unheilsankündigungen des Propheten Amos bereits eingetreten. Die Königreiche Israel und Juda existieren nicht mehr. Im Rückblick hat sich die Analyse des Propheten als zutreffend erwiesen. Gilt dies nur für die Vergangenheit? Nein! Die Ereignisse der Vergangenheit sind Erinnerung, Warnung und Ansporn für die Gegenwart, kritisch zu sehen, zu hören und entsprechend zu handeln, ganz nach dem Motto: „Der Löwe hat gebrüllt, wer fürchtet sich nicht? Der Herr, JHWH, hat geredet, wer weissagt nicht?“ (Am 3,8).
Impuls
- Welche Fragen habe ich zum Buch Amos?
- Welche sozialen Anliegen sind mir besonders wichtig?
Termine Linzer Bibelkurs: www.kirchenzeitung.at/bibelkurs