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Mit Schwung fährt Markus Wurm mit seinem Rollstuhl durch die enge Tür, hinein ins Klassenzimmer. Fröhlich wird er von den Schülerinnen begrüßt. Markus Wurm erlitt bei seiner Geburt eine Cerebralparese durch Sauerstoffmangel, ist auf den Rollstuhl angewiesen und spricht für jemanden, der ihm zum ersten Mal begegnet, schwer verständlich. Die Schülerinnen aber scherzen und unterhalten
„Es macht einen Unterschied, ob man die Theorie lernt oder ob man sie lebt", sagt Angelika Mittendorfer, Professorin im Fach Sonder- und Heilpädagogik. Sie unterrichtet die beiden vierten Klassen der Bildungsanstalt für Kindergartenpädagogik der Don Bosco Schulen in Vöcklabruck. Markus Wurm, der schon seit drei Jahren immer wieder zu Gast in der Schule war, begleitet sie seit dem vergangenen Oktober nun auch als Lehrer. Die Themen sprechen sie miteinander ab. Von rechtlichen und ethischen Aspekten der Behinderung bis hin zu Barrierefreiheit: Markus bringt sich ein und lernt auch manchmal selbst etwas dazu („Das hab ich ja gar nicht gewusst!").
Peter Ramp, Markus Wurms Betreuer bei assista Soziale Dienste GmbH, hatte die Idee, ihn aktiv im Unterricht einzubinden – und rannte damit bei Angelika Mittendorfer offene Türen ein. „Erwachsene haben oft Schwierigkeiten, wenn sie zum ersten Mal mit Menschen mit Behinderung zu tun haben", meint die Pädagogin, die auch in der Erwachsenenbildung tätig ist. „Das einzige, was hilft Berührungsängste abzubauen, ist Bildung und Erfahrung schon in jungen Jahren."
Befürchtungen hatte auch so manche Schülerin zu Beginn des Projekts. „Ich hatte Angst, Markus wehzutun, wenn ich ihm aus der Jacke helfe", sagt Cäcilia Gschwandtner. Ihre Klassenkolleginnen erzählen, wie schwierig es für sie war, seine Worte zu verstehen und dass sie mit ihm wie mit einem kleinen Kind gesprochen hätten. „Aber wir haben ihn besser kennengelernt und bald auch ohne Dolmetscher verstanden", sagt Bianca Urstöger. Wie ihre Kolleginnen ist sie überzeugt, dass sie wichtige Erfahrungen aus dem Unterricht mitnehmen wird. Jeweils zwei Schülerinnen holen Markus Wurm vom Fahrtendienst ab und begleiten ihn in die Klasse. Im Unterricht nützen die jungen Frauen die Gelegenheit, mehr über die Lebenssituation eines Menschen mit Beeinträchtigung zu erfahren. Dieses Wissen wird es ihnen erleichtern, zu verstehen und handeln zu können, nicht nur bei ihrer zukünftigen Arbeit im Kindergarten.
Angelika Mittendorfer ist dankbar für die Rahmenbedingungen in der Don Bosco Schule, die ein solches Unterfangen erst möglich machen: „Ohne unsere Direktorin, Sr. Maria Maul, wäre das alles nicht möglich – und auch nicht ohne die Offenheit von Markus Wurm." Die Professorin und die Schülerinnen selbst würden ein solches Projekt auch anderen Schulen mit sozialem Schwerpunkt empfehlen.Am 15. Mai wurden sie für ihren Einsatz mit dem Solidaritätspreis der KirchenZeitung ausgezeichnet. Das Preisgeld möchten die jungen Frauen der Organisation assista und Markus Wurm zukommen lassen: „Wir möchten etwas zurückgeben."
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