Luna Al-Mousli, 25, schreibt in ihrem Buch „Eine Träne. Ein Lächeln“ über ihre Kindheit in Damaskus. Im KirchenZeitungs-Interview spricht sie über den „ewigen“ Assad, ihre Arbeit mit jungen Flüchtlingen und die Hoffnung auf Frieden.
Ausgabe: 2016/09, Luna Al-Mousli, Kindheit, Assad, Flüchtlinge, Syrien, Frieden, Krieg
02.03.2016 - Interview: Paul Stütz
Als Sie 14 waren, zog die Familie von Damaskus nach Wien. Was war für den Umzug ausschlaggebend? Luna Al-Mousli: Wir haben ein Familienunternehmen gehabt, das meinem Opa gehört hat. Es gab Probleme mit korrupten Behörden. Wir haben das Firmengrundstück verloren, weil Papiere gefälscht worden sind. Für meine Mama war das ausschlaggebend, einen Neuanfang in Österreich zu wagen.
Wie war das für Sie, als Teenager in ein fremdes Land zu ziehen? Ich habe das damals als 14-Jährige nicht verstanden, wieso wir nach Österreich müssen. Am Anfang wollte ich das gar nicht, ich war trotzig. Das machte es schwer. Aber eines Tages ist bei mir ein Schalter umgelegt worden. Das war die Erkenntnis: Okay, es gibt nur mehr das hier und ich muss das Beste daraus machen. Dann ist es besser geworden.
Was ist für Sie Heimat? Ich glaube, Heimat ist ein Ort, wo man Menschen hat, die einen lieben, die für einen da sind. Das kann überall sein. Das ist nicht an einem bestimmten Ort oder Land festgeschraubt. Für mich ist nicht A oder B, sondern das dazwischen meine Heimat. In der Spannung zwischen den beiden fühle ich mich am wohlsten. Wenn ich zum Beispiel ständig nur Deutsch rede, habe ich schnell das Gefühl, ein Teil von mir wird vernachlässigt, nicht richtig entfaltet.
Wie verschieden sind Österreicher und Syrer? Sind das wirklich so unterschiedliche Welten? Es gibt schon viele Unterschiede. Ein Beispiel: Syrer sind mehr familienorientiert, mehr für die Gruppe, Europäer sind individualistischer. Vielfalt ist keine negative Eigenschaft. Plötzlich kann man zwischen viel mehr Möglichkeiten wählen, neue Sachen entdecken. Natürlich gibt es viele Gemeinsamkeiten. Es ist jetzt nicht so, dass die Menschen, die in Syrien gelebt haben, Aliens sind. Die haben auch ein gesellschaftliches Leben gehabt, Bildung genossen, sich Fähigkeiten angeeignet.
Was nehmen sie sich persönlich aus den jeweiligen Kulturen mit? Ich habe Glück, dass ich eine Hälfte meines Lebens in Syrien und die andere Hälfte Österreich gelebt habe. Ich habe in beiden Ländern Alltag erlebt. Was ich mir von Syrien mitnehme: dass man sich bewusst Zeit nimmt für Freunde und Familie. Was ich mir von Österreich mitnehme sind die vielen Möglichkeiten zur Selbstentfaltung. Jede Möglichkeit, die ich kriege, um mich weiterzuentwickeln nehme ich wahr. In Syrien braucht man viel Geld um weiterzugekommen, alles ist sehr vorgegeben.
Sie lesen aus Ihrem Buch auch immer wieder vor syrischen Flüchtlingen, wie vor Kurzem in der Pfarre Schiedlberg. Wie reagieren die Flüchtlinge auf Ihr Buch? Viele Flüchtlinge sind sehr gerührt, die von mir geschilderten Erinnerungen an Schulalltag oder Familienleben haben sie oftmals ähnlich erlebt. Ich trage viel von ihrer Geschichte weiter.
Sie gingen als Muslimin in Syrien in eine katholische Schule. Wie war das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen? Ziemlich tolerant. Ich glaube, das liegt daran, dass beide Religionen in Syrien länger miteinander leben als in Österreich. In Österreich ist es anders. Wenn ich erzähle, dass ich Muslimin bin, reagieren viele Leute irritiert. Ich glaube, weil viele Menschen nur über die Medien Kontakt zum Islam haben und nicht persönlich.
Welche Rolle spielt der Glaube bei der Integration? Ich glaube, mit dem hat es überhaupt nichts zu tun. Wenn man sich integrieren will, ist es egal, ob man zu Ramadan fastet oder nicht. Man soll versuchen, Kontakte zu knüpfen, am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, etwas ausprobieren. Das ist alles religionsunabhängig.
Was ist besonders wichtig für gelungene Integration? Integration ist eine Kopfsache, in allererster Linie sich damit abzufinden, dass man hier ist und dass man daraus das Beste macht. Es als Chance sieht und nicht sagt: „Ich bin halt da, aber eigentlich warte ich darauf, dass ich in einem Monat oder Jahr zurückkomme nach Syrien“.
Wenn jetzt manche Flüchtlinge vom Islam zum Christentum konvertieren: Verstehen Sie das? Ich glaube, wenn die Menschen das aus Überzeugung machen, ist es gut. Jeder soll das selbst entscheiden. Wenn sie das Gefühl haben, sie müssen konvertieren, um in Europa als Christen besser behandelt zu werden, wäre das sehr schlecht. Mensch ist Mensch, egal ob Christ oder Muslim.
Sie engagieren sich durch das Sozialprojekt „TANMU – Lernhilfe für jugendliche Flüchtlinge“ für die Bildung von Flüchtlingen. Was motiviert Sie dazu? Ich glaube, ich hätte mir, als ich nach Österreich kam, auch so jemand gewünscht wie mich. Jemand, der mich an die Hand nimmt, vielleicht gesagt hätte: „Luna, du spielst ja gerne Klavier, schau, du kannst dich hier anmelden gehen.“ Oder: „Komm du verstehst diesen Zettel nicht, ich kann das nochmals mit dir durchgehen.“ Meine Mama hat arbeiten müssen, ist spät am Abend heimgekommen und hat dafür nicht viel Zeit gehabt.
Was machen Sie mit den Jugendlichen? Es ist nicht nur Deutsch lernen, sondern wir unternehmen gemeinsam auch viele kulturelle Sachen. Zum Beispiel organisierten wir einen Tanzkurs. Alleine hätten sich die Jugendlichen das nicht getraut. Alles was man nicht kennt macht zuerst Angst. Man muss den Menschen die Türen öffnen und sagen, ja sicher, ihr dürft gerne kommen und es ausprobieren.
Verfolgen Sie die Kriegsberichterstattung über Syrien? Kaum, denn ich merke, es macht mich unglaublich traurig. Es macht mir bewusst, wie machtlos ich als einzelner Mensch bin. Die Berichterstattung zu verfolgen nimmt so viel Energie weg. Meine Energie investiere ich aber lieber darin, den jungen Flüchtlingen zu helfen. Da weiß ich, dass es etwas Positives bewirkt.
Sie haben in der Schule in Syrien morgens immer den Spruch „bis in alle Ewigkeit Assad“ aufsagen müssen. Kann diese Ewigkeit Ihrer Einschätzung nach noch andauern, wenn Friede einkehrt? Friede mit Assad wird nach meiner Einschätzung nach nicht funktionieren. Er hat so viel Blut an seinen Händen. So viele Menschen flüchten wegen Assad. Wenn sie zurückkommen und er ist noch an der Macht, würden sie zur Rechenschaft gezogen.
Einige Flüchtlinge aus Syrien sagen, Assad ist schlimm, aber unter ihm könnten wir es uns vorstellen zurückzukehren. Auch weil der IS viel schlimmer ist. Für Sie verständlich? Natürlich ist das verständlich. Eine islamische Herrschaft hatten wir in Syrien nie. Wir wollen kein neues Saudi-Arabien werden oder Iran. Das ist keine Option. Aber es soll nicht heißen, entweder IS oder Asssad.
Könnten Sie sich vorstellen, nach dem Krieg nach Syrien zu ziehen? Man soll zu nichts nie sagen. Wenn wieder Friede herrscht, ist umso mehr Bedarf, etwas aufzubauen, den Krieg zu verarbeiten. Das ist eine wichtige Arbeit, damit sich ein Land weiterentwickeln kann und die Trauer hinter sich lässt.
Das syrische Regime will eine Waffenruhe umsetzen. Ein Hoffnungsschimmer? Leider ist diese Waffenruhe überhaupt keine Garantie für Frieden. Assad hat nicht alle Splittergruppen seiner Armee, die im Land herumirren, unter Kontrolle. Viele Waffen, die ihm gehört haben, sind jetzt irgendwo. Die Situation ist so verfahren, so komplex geworden. Aber die Hoffnung auf Frieden in Syrien stirbt zuletzt.
Zur Person
Die 25-jährige Luna Al-Mousli, aufgewachsen in Damaskus, lebt und arbeitet heute als Autorin und Grafik-Designerin. Sie ist in mehreren Initiativen mit Schwerpunkt Bildung und Integration in Wien engagiert. Ihr Erstlingswerk „Eine Träne. Ein Lächeln: Meine Kindheit in Damaskus“ ist im Verlag Weissbooks erschienen.