Nach Mord: Abtreibungsgegner in den USA vor der Hinrichtung
Paul Hill wird von radikaler Lebensbewegung mit Bonhoeffer verglichen
Ausgabe: 2003/36, Mord, Abtreibungsgegner, USA, Hill, Bonhoeffer, Tod
02.09.2003 - Johannes Schnarrer/Walter Achleitner
Am 3. September 2003 soll Paul Hill hingerichtet werden. 1994 hatte der Pastor einen Abtreibungsarzt und dessen Leibwächter erschossen. Von Teilen der Lebensbewegung in den USA wird er bereits als Märtyrer betrachtet.
Seit zwei Jahrzehnten hat sich in den USA der Ton zwischen Befürwortern und Gegnern der Abtreibungsregelung radikal verschärft. Wo Abtreibungskliniken ihre Pforten geöffnet haben, ziehen die Anhänger der Lebensbewegung (Pro-Life) medienwirksam vor deren Tore. Sie demonstrieren für das Leben der Ungeborenen und gegen diese Einrich- tungen. Diese Protestmärsche werden meistens nicht nur ideell von Priestern und Ordensleuten unterstützt, sondern sie stehen mit in vorderster Linie.
Einer von ihnen ist Presbyterianer-Pastor Paul Hill (49), der als Lebensschützer diese Woche im Gefängnis von Starke (Florida) mit einer Giftspritze getötet werden soll. Seine Todesstrafe für einen zweifachen Mord (dazu Kasten unten) sorgt in den USA für heftige Diskussionen. Auch die katholischen Bischöfe Floridas haben sich offiziell an Gouverneur Jeb Bush, den Bruder des US-Präsidenten, gewandt, das Urteil in lebenslange Haft ohne Bewährung umzuwandeln. Abtreibung töte ungeborenes Leben, was schrecklich sei, betonen die Bischöfe in ihrem Brief. Doch Menschenleben auszulöschen, wie Hill es tat, sei ebenso schrecklich. Den Mörder hinzurichten bedeute allerdings, an der Spirale der Gewalt nur noch weiter zu drehen. Und die Gegner der Todesstrafe in Florida argumentieren: mit der Hinrichtung von Paul Hill „wächst die Gefahr, dass Abtreibungsgegner ihrerseits wieder zur Gewalt greifen“, sagt Abe Bonowitz.
Widerstand: Märtyrer wie Bonhoeffer?
Joe Scheidler, nationaler Direktor der Lebensbewegung in den USA, warnt zwar, Hill als Märtyrer zu betrachten, räumt jedoch ein: „Einige in der Pro-Life-Bewegung tun das bereits.“ Dabei wird Paul Hill bereits in einem Atemzug mit Dietrich Bonhoeffer genannt. Der evangelische Theologe hatte sich dem politischen Widerstand gegen die Nationalsozialisten angeschlossen und war dafür am 9. April 1945 hingerichtet worden. Bonhoeffers Verdienst liegt vor allem darin, die Diesseitigkeit des Christentums in einer „mündig“ gewordenen Welt zu betonen. So gilt er als Hauptvertreter einer politischen Theologie, die sich kein Blatt vor den Mund nimmt und bewusst einmischt in die Belange des Weltlichen. Bekannt wurde er auch durch seine Gelassenheit, dem Tod ins Auge zu schauen. Ähnlich gelassen sieht auch Hill seiner Hinrichtung entgegen. Aber der Vergleich zwischen dem NS- und dem Abtreibungsgegner hinkt. Denn Hill hat letztendlich zur Waffe gegriffen und zwei Menschen getötet, während der deutsche Pastor sein Recht auf Widerstand bis zur letzten gewaltfreien Konsequenz führte, nämlich bis zur Hingabe seines eigenen Lebens. Für Hill sei jede Art der Verteidigung der Ungeborenen erlaubt. So beruft er sich immer wieder auf sein Gewissen als inneren Gerichtshof, der ihn dazu gedrängt habe. Von daher sieht er sein Töten gerechtfertigt, und argumentiert mit der christlichen Tradition des Tyrannenmordes. Entsprechend dem Kirchenlehrer Thomas von Aquin sei die Tötung für legitim zu erachten, wenn damit in der Weiterfolge menschliches Leben geschützt werde.
Radikalität der Presbyterianer
In diesem Sinne führt Hill eine Tradition weiter, die bereits vor ihm viele Generationen von Presbyterianern in Radikalität vorgelebt haben. Widerstandsrecht wird als ein religiös und humanitär begründetes höheres Recht gesehen, als ein letztes Mittel zur Auflehnung gegen anders nicht zu bekämpfendes Unrecht. Aber es handelt sich bei seiner Ermordung des Arztes, der Abtreibungen durchgeführt hat, um ein Tun mit doppelter Wirkung. Nach dem Prinzip des kleineren Übels könnte man meinen, es sei legitim jemanden zu beseitigen, damit die nächste Generation leben könne. Aber seine Gewissensentscheidung tritt zum Menschenrecht auf Leben des Arztes in Konkurrenz. Paul Hill hofft nun in der Debatte um Abtreibung einen Stein ins Rollen zu bringen und wünscht sich selbst den Tod durch die Giftspritze. Er wäre der erste Abtreibungsgegner, der in den USA als Mörder hingerichtet wird.
Pastor Paul Hill
Hintergrund
„Tötet Mörder, Abtreibungsärzte und Helfer“, stand in großen Buchstaben auf seinem Plakat. Alle kannten Paul Hill, der eineinhalb Jahre lang jeden Freitag vor der Abtreibungsklinik in Pensacola stand. Doch niemand wusste, dass er am 29. Juli 1994 daraus Ernst machen und Dr. John Britton (69) und dessen Leibwächter James Barrett (74) erschießen und dessen Frau June schwer verletzen würde. Hill wurde für die Tat, die er selbst als „gerechtfertigte Tötung“ bezeichnete, am 6. Dezember 1994 zum Tod verurteilt.