Er komponiert täglich und freut sich an der Fülle des Lebens: P. Balduin Sulzer feiert am 15. März seinen 85. Geburtstag. Im Brucknerhaus gibt es einen Sulzer-Festreigen mit acht Konzerten. Viele seiner ehemaligen Schüler/innen spielen seine Werke und sind dem „Herrn Lehrer“ unendlich dankbar.
Ausgabe: 2017/04
24.01.2017 - Elisabeth Leitner
Eintreffen im Stift Wilhering. Der Innenhof ist verschneit, die Temperaturen im Minusbereich. Ein kurzer Anruf bei Balduin Sulzer – und schon kommt er langsam die Stufen herunter, öffnet das große Portal. Gemeinsam geht’s in den ersten Stock, Wilhering 1 steht neben der Tür, die der „Herr Lehrer“ aufmacht. Ein Reich tut sich auf: Unendlich viele Noten, Bücher, Plakate, Zeichnungen, Collagen, Sesseln, Tische und ein Klavier, eine Kaffeemaschine zählen zum Inventar. Katzen in jeglicher Form tummeln sich in Sulzers Komponierstube. Das fröhliche Chaos und sein Meister, ein unschlagbares Duo. Der Maestro bringt einen Espresso. Es ist schön warm hier. Darunter leidet das Klavier, dem sich ein paar gar schräge Töne entlocken lassen. Schräge Töne, Kompositionen mit Witz, Tiefgang und überraschenden Wendungen sind eine Spezialität von Balduin Sulzer. „Jetzt wird er 85 und hoffentlich auch weiterhin nie erwachsen und schon gar nicht alt“, sagt seine ehemalige Schülerin Ulla Pilz. Sie hat 1987 im Linzer Musikgymnasium maturiert und ist eine der vielen, die zu ihm Kontakt hält, seine Kompositionen erklingen lässt. Zum Altwerden habe er gar keine Zeit, meint sie: „Er will ja jeden Tag bis zum Grabesrand Notenköpfe setzen und wie er selber sagt, gibt es sowieso keine Chance, dass er sich verzupft, bevor nicht Opus 500 fertig ist. Derzeit liegt er bei unter 400 Werken“, kennt sie Balduins Werkregister und meint auf den baldigen Geburtstag angesprochen: „Also nur net hudeln, Balduin, und alles, alles Gute!“
Die Kunst der Improvisation
Mit 13 Jahren hat er seine ersten Stücke komponiert. Momentan arbeitet der 1932 in Großraming geborene Komponist an der 10. Symphonie, einen Auftraggeber gibt es schon, einen Abgabetermin noch nicht. Ohne den fehlt der Druck, das braucht „Balduin“, damit etwas weitergeht. „Ich bekomme oft Anrufe von ehemaligen Schülern, die jetzt unterrichten. Bitte schreib mir was für Tuba, Koloratursopran und Schlagzeug“, erzählt er, „da gibt’s nämlich nichts.“ Dann setzt er sich hin und setzt seine Notenköpfe aufs Papier. So schafft Balduin seine Notenwelten, die dann im Idealfall die Konzertsäle und Vortragsräume erfüllen. „Ich habe beim Schreiben schon das Publikum im Blick“, sagt er: „Ich schreibe für das Publikum und für die Musiker, denn die wollen auch zeigen, was sie können!“ – Das kann schon bis zur „Sportlichkeit“ gehen. Über all dem steht aber die Kunst der Improvisation, das spontane Reagieren auf das, was ist. „Das gilt für die Musik genauso wie für das Zwischenmenschliche“, meint Balduin. Mit unerwarteten Dingen gut zu Rande zu kommen, das ist ihm bis heute wichtig. Herausforderungen hat der ehemalige Wilheringer Internatszögling immer angenommen: 1974 wurde er zum Leiter des neu gegründeten Musikgymnasiums der Diözese Linz ernannt, dem er bis 1997 vorstand.
Talente-Förderer
Geformt hat er nicht nur herausragende Klangkörper wie das Jeunesse Orchester und den Mozartchor, die oft auf Tourneen gingen. Mit dem Mozartchor und damals schon aufstrebenden Franz Welser-Möst bereiste er Palermo, Norrköpping, Winterthur und London –, geformt und geprägt hat er auch Menschen und Musiker/innen. „Mit unorthodoxen Methoden hat er die teilweise verborgenen Talente gefordert und gefördert“, erinnert sich der Weltklasse-Dirigent Franz Welser-Möst an seinen Lehrer. Welser-Möst besuchte damals den ersten Jahrgang des Linzer Musikgymnasiums in der Stifterstraße – ein Schulversuch, der sich dank Balduins Einsatz erfolgreich entwickelte. Dass der Musiker, Pädagoge, Domkapellmeister und Talenteförderer seinen Schülern etwas zugemutet und zugetraut hat, dass er mit viel Humor und professionellem Anspruch angehende Berufsmusiker/innen geprägt hat, wird bei den vielen Danksagungen deutlich, die den Herrn Lehrer nun laufend erreichen: „Meine Dankbarkeit ist unendlich“, formuliert es sein Biograf Norbert Trawöger. An „Balduin“ schätze er, dass er seine Mitmenschen und seine Talente ernst nehme, sich selbst nicht zu sehr, aber doch genug, um dem zu folgen, was es für einen zu tun gibt. „Nur wenige Menschen haben mich auf meinem Weg so ermuntert, beruhtigt und zum Lachen gebracht wie er.“ Ab 7. Februar wird nun Balduins 85er im Linzer Brucknerhaus gebührend gefeiert, der „Herr Lehrer“ wird dort sicher oft anzutreffen sein.
Ehemalige Schüler und Schülerinnen über Balduin Sulzer
Franz Welser-Möst, Dirigent: Balduin Sulzer war deshalb ein außergewöhnlicher Lehrer, weil er in jedem seiner Schüler die Individualität sah und die teilweise noch verborgenen Talente mit unorthodoxen Methoden, Wortgewalt und Humor gefordert und gefördert hat. Das brachte ihm die einzigartige Verehrung seiner Schüler auch als Mensch ein.
Ulla Pilz, ORF Ö1-Moderatorin und Sängerin: Mit Klassenbucheintragungen wie „Die Schüler x und y wurden wegen unerlaubten Schummelns des Lokals verwiesen“ legt der „Herr Lehra“ (sein liebster Ehrentitel) ein Niveau an Wortwitz vor, das keiner außer ihm in jeder Unterrichtsstunde, in jedem privaten Gespräch durchhalten könnte. Und genau diese Mischung aus Leichtigkeit und Intelligenz blitzt bei aller Tiefe auch in Balduins Musik immer durch.
Eduard Matscheko,Lehrer an der LMS (Violine) und Dirigent: Balduin Sulzer war für mich in jeder Hinsicht prägend. Ich habe von ihm sehr viele Möglichkeiten erhalten, prägende Erfahrungen zu sammeln. Wenn sich mir heute eine neue berufliche Herausforderung stellt, frage ich mich: „Was würde Balduin jetzt machen?“ – und wenn ich den Mut habe, tue ich es!
Gotho Griesmeier, Opernsängerin: Balduin hat mich einen sehr offenen, unverkrampften und unverkopften Zugang zur Musik aller Epochen gelehrt. Dadurch kamen auch nie Berührungsängste mit zeitgenössischer Musik auf, wovon ich heute sehr profitiere. Er hat mir eine bodenständige und sensible Art zu musizieren vermittelt, die Spiel- und Experimentierfreude und auch eine Portion Schalk bei aller Ernsthaftigkeit zulässt.
Eduard Geroldinger, Direktor der LMS Ried: Balduin war und ist für mich einer der prägendsten Wegbegleiter. Er hat uns etwas „zugetraut“ und uns ermutigt, Dinge anzupacken. Das TUN war ihm stets wichtiger als großes Philosophieren. Dass der Auftritt in den entlegensten Winkeln des Landes die gleiche Ernsthaftigkeit und Wertschätzung durch uns Musiker verdient wie ein Konzert im Brucknerhaus, hat uns Balduin rasch vermittelt.
Kurt Azesberger, Opernsänger, Stiftskapellmeister Wilhering: Es ist schön, wenn man das Glück hat, zur rechten Zeit – als Jugendlicher – einem so ausgeprägten Talentscout wie Balduin Sulzer in die Hände zu fallen. Sein vor allem auf die Praxis ausgelegter Unterricht hat ungeahnte Begabungen auf Schiene gebracht. Meine Förderung war allerdings mit dem Abschluss des Musikgymnasiums längst nicht abgeschlossen!
Festreigen im Brucknerhaus
Acht Konzerte mit Werken von Balduin Sulzer finden von 7. Februar bis 31. März im Linzer Brucknerhaus statt.
1) Klavierabend mit Sergej Redkin, 7. 2., Bach/Ferruccio Busoni, Beethoven, Balduin Sulzer: Toccata für Klavier op. 26 (1969), Igor Strawinsky. 2) Bruckner Orchester Linz mit W. Fedossejew, 3. Symphonie für gr. Orchester und Orgel, 23. 2. 3) Anna Maria Pammer, Glaube – Mystik – Aberglaube, Konzert mit Lesung, 1. 3. 4) Orgel und Kammermusik mit Elke Eckerstorfer, 2. 3. 5) Musikalische Geburtstagsfeier für Balduin Sulzer, Überraschungskonzert, LMS und Musikgymnasium, 15. 3. 6) Minetti Quartet & Friends, Kammermusik, Solostücke bis zum Quintett, 17. 3. 7) Hard-Chor, Sulzer und die Chormusik, 25. 3. 8) Festkonzert, Musik von Haydn und Sulzer, Wr. Sängerknaben und Mozartchor, 31. 3.
Karten zu gewinnen!
KirchenZeitung und Brucknerhaus verlosen für alle Konzerte einen Festivalpass „Balduin Sulzer“ für je 2 Personen. Kennwort: Balduin. Einsendungen: an KirchenZeitung, Kapuzinerstraße 84, 4020 Linz, bis 3. Februar.