„Das Leben ist wie vorher, aber die Unsicherheit schränkt uns ein und die Angst nagt an uns“, sagt Sr. Juliana Baldinger. Die Sionsschwester lebt in Ägypten, wo die Bevölkerung auf einen Wundertäter wartet: auf den neuen Präsidenten.
Ausgabe: 2012/21, Baldinger, Ägypten, Präsidentenwahlen, El Berba, Christen
22.05.2012 - Josef Wallner
Der Sturz von Präsident Mubarak vor einem Jahr hat Ägypten von Grund auf verändert. Ob zum Besseren oder Schlechteren ist aber in Schwebe. Sr. Juliana Baldinger liegt es fern, theoretische Analysen zu liefern. Sie erzählt lieber vom Alltag und von ihrem Dorf El Berba: 12.000 Einwohner, drei Viertel davon Muslime, die übrigen Christen, sechs Auto-Stunden von Kairo entfernt. Die Kriminalität schnellte wie im ganzen Land von null auf hundert hoch. Die Polizei, die Mubarak bis zum Letzten stützte und sich bei der Bevölkerung über alle Maßen verhasst gemacht hat, wagt noch immer nicht, aktiv zu werden. Außerhalb ihres Dorfes fährt Sr. Juliana daher nicht mehr allein mit dem Auto. Die Krankenhäuser sind noch schlechter und viele Jugendliche waren schon ein Jahr nicht mehr in der Schule. Der öffentliche Verkehr am Land ist wegen Benzinmangels zusammengebrochen. Mit den Sammeltaxis kann man El Berba kaum mehr verlassen. „Im gesamten Land herrscht eine angespannte, nervöse Stimmung. Es ist nur deswegen ruhig, weil alle auf den neuen Präsidenten warten“, so Sr. Juliana: „Aber der wird Wunder wirken müssen.“ Ob der religiös nicht radikale „Technokrat“ Amr Mussa oder der von den Muslimbrüdern kommende Kandidat in einem vermutlich notwendigen zweiten Wahlgang gewinnen wird – Sr. Juliana weiß es einfach nicht: „Ich habe keine Idee.“ Nicht nur sie als Ausländerin, niemand wagt eine Prognose: Politisch nicht und erst recht nicht, welche Zukunft die Christen in Ägypten haben. Über allem steht ein großes Fragezeichen.
Da sein. Gott sei Dank funktioniert in ihrem Dorf El Berba das Zusammenleben zwischen Christen und Muslimen trotz allem recht gut. „Die hohe Anzahl der Salafisten (radikaler als Muslimbrüder) im Dorf bei den Parlamentswahlen hat uns zwar erschreckt, aber dank des „Development Centers“ kam es bislang zu keinen Zusammenstößen“, so Sr. Juliana. In El Berba gründete die koptisch-katholische Kirche vor zwei Jahrzehnten ein Entwicklungszentrum für das gesamte Dorf: Christen und Muslime profitieren in gleicher Weise davon. Das ist ein Schlüssel für das gute Zusammenleben – vom zweiten Schlüssel spricht Sr. Juliana aus Bescheidenheit nicht gerne – der Anwesenheit der Sionsschwestern und ihrem Einsatz: „Ich bemühe mich als Ordensfrau einfach im Dorf für die Leute da zu sein.“