Der Pastoraltheologe Paul. M. Zulehner erläutert die Studie über die Religionszugehörigkeit der Österreicher im Blick auf die Konsequenzen für die katholische Kirche.
11.08.2017
Die Reaktionen auf die Veröffentlichung der Studie haben gezeigt: Gerade engagierten Gläubigen tun die Ergebnisse im Innersten weh ...
Paul M. Zulehner: Wir tragen vielfach noch die Bilder einer zahlenmäßig starken Kirche in uns. Aber es geht nicht nur um Zahlen. Viele tragen auch die Überzeugung in sich, dass getauft sein muss, wer für den Himmel gerettet werden will. Und das wollen wir für alle Menschen, besonders für die, die wir lieben. Auf diesem Hintergrund gibt es nicht nur die Sorge um den Verlust der Größe, sondern auch die Trauer um die eigenen Kinder, die keinen Weg zur Kirche mehr finden. Aber wer kennt schon Gottes Wege?
Was heißen diese Zahlen für das kirchliche Leben, für Pfarren und Gemeinden, wo viel Herzblut der Leute drinnen ist?
Zulehner: Viele Kirchen sind durch das Engagement von gläubigen Menschen gebaut worden, die gesagt haben: Wir wollen in unserem Dorf eine Kirche. Ich glaube, dass die Erhaltung der Kirchen wieder in die Hände der Leute übergeht. Es wird in Zukunft verstärkt wieder Kirchenbauvereine geben, die Kirchen erhalten wollen, weil sie Teil ihrer Identität sind. Die Erfahrungen in Ostdeutschland zeigen übrigens, dass in diesen Vereinen auch Atheisten und Kommunisten mitarbeiten. Das kirchliche Leben selber wird sich tiefgreifend verändern, weil die Zeit, in der die Kirchenmitgliedschaft gleichsam kulturell-schicksalshaft war, endgültig vorbei ist. Die Kirche hat es jetzt mit Menschen zu tun, die ihre Kirchenmitgliedschaft frei wählen können.
Welche Konsequenzen bringt das mit sich?
Zulehner: Die Kirche muss ihre missionarische Pastoral tiefgreifend verändern und den Menschen das Evangelium so vorleben, dass es für sie attraktiv ist. Dann werden sie sich auch in die Kirche einwählen. Ich wünsche mir selber sehr eine Großkirche und ich glaube auch nicht, dass die Kirche schrumpfen muss. Aber wenn sie so weitermacht wie bisher, wird sie weiter schrumpfen.
Was heißt der Befund der Studie für den selbstverständlichen Wunsch der vielen nach Taufe ihrer Kinder, nach Firmung, Trauung und Beerdigung?
Zulehner: In diesem Zusammenhang finde ich die Kirche eigentlich sehr schlampig und fahrlässig, weil sie den Priestermangel nicht meistert. Die Kirche hätte alle Möglichkeiten, zum Beispiel Ehrenamtliche, Verheiratete, gut ausgebildete oder neu auszubildende Leute zu weihen. Ein Bischof in Südafrika schlägt vor, die Gemeinden sollen dem Bischof drei Leute zur Weihe präsentieren. Er könnte dann ein Team von gemeindeerfahrenen Personen ordinieren, die nebenberuflich Pfarrer sind. In Zukunft braucht es neue Fantasie und Beweglichkeit der Kirche auch in dieser Frage: Wie kommt man zu mehr Priestern?
Der Schrumpfungsprozess lässt mit Regelmäßigkeit den Ruf nach dem Rückzug der Kirche auf ihre Kernaufgaben, die man als Liturgie und Verkündigung definiert, laut werden? Was halten Sie davon?
Zulehner: Das ist mit der Bibel nicht zu machen, weil wir in der Liturgie zu Fuß-Waschern verwandelt werden. Das heißt: Wir werden hinausgeschickt, um wie Jesus an die Ränder der Gesellschaft zu gehen. Das verlangt auch Papst Franziskus, dass wir Gottes heilende Liebe erfahrbar machen. Die Kernaufgaben der Kirche sind von Jesus her völlig klar definiert: Man soll Gott und den Nächsten lieben. Wer dieses Gebot halbiert und die Nächstenliebe wegstreicht, weil es angeblich keine Leute mehr gibt, die das machen, der zerstört die Kirche und verkürzt die Sonntagsmesse zu einem religiösen Konditoreibesuch am Sonntag.
Wird die Kirche zur „kleinen Herde“?
Zulehner: Es völlig klar: Wenn die Leute ihre Kirchenmitgliedschaft frei wählen können, werden sich manche auswählen. Das sieht man an den Zahlen heute. Es wählen sich aber auch manche wieder ein. Sonderbarerweise wird das bei den Studien meistens übergangen, dass es eine beträchtliche Anzahl von Kircheneintritten gibt. Wir werden eine deutlich wahrnehmbare religiöse Mobilität haben.
Anlass der Studie über die Religionszugehörigkeit war die Frage nach der zukünftigen Stärke der Muslime.
Zulehner: Das war sicher die geheime Absicht der Studie: „Droht eine Islamisierung?“ Mit dem Ergebnis wollte man ein bisschen Druck in der Gesellschaft rausnehmen. Wir wissen ja auch aus der repräsentativen Studie „Muslimas und Muslime im Migrationsstress“, die ich 2013 publiziert habe, dass die zweite Generation der Muslime im Land für die Moderne aufgeschlossen ist, ebenso moderne Frauenbilder hat und junge Frauen eine ähnlich niedrige Kinderzahl haben wie im Landesdurchschnitt. Das heißt: Die Muslime werden das christliche Europa nicht „niedergebären“. Die Christlichkeit in Europa zerstört sich von selber und wird nicht durch gläubige Muslime zerstört.