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Wenn am Ende von Stéphane Brizés Film „Der Wert des Menschen“ (2015) Thierry Taugourdeau (Vincent Lindon) seinen Job als Sicherheitsmann in einem Supermarkt hinschmeißt, damit seinen Arbeitsplatz verliert, für den er sich 20 Monate lang als gelernter Maschinist umschulen hat lassen, dann könnte diese Aktion zeitlich vor dem Beginn von Brizés neuem Film „Streik“ situiert sein.
Wir begegnen wieder Vincent Lindon, der dieses Mal in der Rolle des Gewerkschafters agiert und einen Streik in einer Automobilzulieferfirma anführt, die einem deutschen Konzern gehört und trotz Rekordgewinne (für die Aktionäre) geschlossen werden soll.
Um es vorwegzunehmen: Brizés Film war einer der Höhepunkte des Kinojahrs 2018 und es ist skandalös, dass man diesen wichtigen Film erst im August (Lückenfüller im Sommerloch?) in Österreich startet.
„Im Krieg“, so der Originaltitel, beleuchtet, rückblickend betrachtet, auch die Hintergründe für die Gelbwesten-Bewegung und zeigt, warum es zum plötzlichen Ausbruch von Gewalt gekommen ist, die auf der Wut gründet, die wiederum durch ständige Demütigung genährt wird. Brizé hat sich mit Arbeiter/innen, CEOs, Anwält/innen, ehemaligen Gewerkschaftsführern getroffen, die für Firmen mit ähnlichem Schicksal gearbeitet haben und aus diesen Gesprächen einen Film überbordender Energie gedreht. Die Handkamera mischt sich unter die streikenden Arbeiter, die verbalen Auseinandersetzungen sind von einer Dynamik, wie man sie bisher im Kino noch nie gesehen hat.
Der Kampf um ein Gespräch mit dem Geschäftsführer mutet kafkaesk an und ist wie ein Stellungskrieg gefilmt, der zeigt, wie die „Gesetze des Marktes“ (so der Originaltitel von Brizés Film aus dem Jahr 2015) funktionieren. Die Diktion der Firmenverantwortlichen spricht Bände: „Der Geschäftsführer wird in Betracht ziehen, mit den Arbeitern zu verhandeln“, „Der Geschäftsführer ist sehr beschäftigt und nur schwer erreichbar“, „Die betroffenen Arbeiter könnten ja in eine andere Gegend ziehen“.
Um keinen falschen Eindruck zu vermitteln: „Streik“ verzichtet auf simple Gut-Böse-Zuschreibungen. Auch die Konflikte innerhalb der Arbeiterschaft, die unterschiedlichen Positionen und Bedürfnisse, werden thematisiert, aber auch, wie sich die scheinbar objektiven Medienberichte von den realen Wirkungszusammenhängen unterscheiden. Auch wenn die formale Gestaltung oft dokumentarisch wirkt, beweist Brizé, dass ein Spielfilm andere Möglichkeiten als ein Dokumentarfilm bietet. Der Spielfilm begibt sich hinter verschlossene Türen (wie in der Sondersitzung mit dem deutschen Geschäftsführer) und da tut sich ein Abgrund auf. «
Ab Mitte August im Kino.
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