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„Der Komponist und die Frauen“ lautet Ihr Untertitel. Wie kam es zu diesem Buch?
Friedrich Buchmayr: Als Leiter des Bruckner-Archivs St. Florian habe ich über die Jahrzehnte hinweg die Quellen und Publikationen zu Bruckner genau kennengelernt. Mir ist aufgefallen, dass über den Menschen, der hinter dem weltweit anerkannten Komponisten steht, sehr wenig gesichertes Wissen vorhanden ist, speziell über sein Verhältnis zu Frauen. Gleichzeitig gibt es eine Flut von Anekdoten, die den Blick verstellen. Eine saubere Trennung in Fakten und Fiktion ist meist nicht mehr möglich. Deshalb wollte ich in meinem Buch 73 Zeitzeug:innen auftreten lassen und in einen Dialog über den Menschen Bruckner verwickeln, der zu einer Klärung beitragen soll. Die Anekdoten werden „vorgeführt“ (in jeder Bedeutung des Wortes), diskutiert, bestätigt oder widerlegt und die Leser:innen können sich dann ihre eigene Meinung bilden.
Was haben Sie selbst in der Beschäftigung mit Bruckner, seinem Leben und den Frauen in seinem Leben spannend gefunden?
Buchmayr: Die Bedeutung der Mutter Theresia, der Schwester Maria Anna und der resoluten Wiener Haushälterin Katharina Kachlmayr für Bruckner ist allgemein bekannt. Überraschend war für mich der Einfluss von Frauen auf sein Werk. Viele Lieder und Klavierwerke wie „Erinnerung“ wären ohne die Frauen, denen sie gewidmet sind, nicht entstanden. Bruckner hat diese Kompositionen auch genau auf die Widmungsträgerinnen abgestimmt. Mit der Wiener Pianistin und Sängerin Marie Demar besprach er seine im Entstehen befindliche 8. Sinfonie. Er nannte sie „seine liebste Freundin und Kunstgenossin“ und besuchte mit ihr Wagner-Opern. Hier wäre durchaus noch Forschungsbedarf.
Ihr Buch ist viel mehr als nur ein Buch über Bruckners Frauen, es gewährt Einblicke in das Leben in St. Florian und in Linz, in Wien. Welche Rückmeldungen haben Sie bislang erhalten?
Buchmayr: Fachleute schätzen einige unbekannte Quellen, die eingebaut sind. Ein Berliner Rezensent hat gelobt, dass man quasi nebenbei viel über die „kulturelle Grundierung Österreichs“ erfährt. Sehr viel Zustimmung erfuhr das originelle Format der Mehrstimmigkeit, die das Lesen zum Vergnügen macht. Eine Frau hat berichtet, dass sie das Buch in einer Nacht gelesen hat und zwei Tage später gleich noch einmal, so mitreißend fand sie es.
Wie sind Sie zu den Charakteren gekommen?
Buchmayr: Ich habe diese Personen über Bruckner-Biografien kennengelernt und mir dann ihre eigenen Aufsätze und Aussagen zusammengesucht. Als Nächstes habe ich diese Texte immer wieder gelesen und genau hingehört, bis die Leute als lebendige Figuren vor mir gestanden sind und sozusagen mit mir geredet haben. Der Ankerpunkt für meine literarischen Fantasien waren aber immer die Aussagen der Personen selbst.
Wenn nach der Lektüre Ihres Buches über Bruckner und die Frauen gesprochen wird, was soll sich verändert haben?
Buchmayr: Es wäre schön, wenn einige skurrile Anekdoten in der Versenkung verschwinden würden und wieder mehr über die interessanten Frauenbeziehungen gesprochen würde, wie mit der „Kunstgenossin“ Marie Demar oder mit seinen Klavierschülerinnen und Studentinnen am Konservatorium und an der Universität. Bruckner hatte sicher seine Eigentümlichkeiten im Umgang mit Frauen, aber da war und ist er nicht allein und das kann ja kein Freibrief für Respektlosigkeit sein. Vielleicht müssen wir uns auch von der liebgewordenen Aufspaltung Bruckners in den langweiligen Alltagsmenschen und den innovativen Komponisten verabschieden, vielleicht gibt es da viel mehr interessante Aspekte in seinem Leben als vermutet.
Themawechsel: das Iwein-Fragment – mit dem Fund ist Ihnen eine Sensation gelungen. Wie lange haben Sie dazu geforscht und Handschriften verglichen?
Buchmayr: Das hat zwei Jahre lang gedauert, es waren immerhin 33 handschriftliche Quellen zu überprüfen. Danach war die Freude natürlich groß, weil das Fragment zu den ältesten Iwein-Fragmenten zählt und aus einer noch unbekannten Handschrift stammt.
Könnte diese Handschrift auch im Stift St. Florian noch verborgen schlummern?
Buchmayr: Es ist nicht auszuschließen, dass in manchen Einbänden noch Iwein-Fragmente stecken.
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