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Dass die römisch-katholische Kirche über viele Jahrhunderte ein Machtfaktor in der Weltpolitik war, sehen viele Menschen heute kritisch. Die Ästhetik der Macht fasziniert und gefällt aber nach wie vor. Anders ist der internationale Erfolg des amerikanisch-britischen Kinofilms „Konklave“, der auch in Oberösterreich gerade die Kinos erobert, nicht zu erklären.
Wer sich die Kinokarte kauft, um einen Thriller zu sehen (als der der Film angekündigt ist), wird enttäuscht. Trotz mancher Versuche, Spannung aufzubauen (Dunkelheit, lange Gänge, lautes Schnaufen), wäre der Spielfilm langatmig, wenn nicht die (in Studios gedrehten) Bilder aus dem Inneren des Vatikans sowohl die Neugier des Publikums befriedigen würden als auch das Auge: Die Großzügigkeit der Architektur lässt die Bilder wie Landschaftsaufnahmen wirken, die die Betrachtenden in die Leinwand hineinziehen.
Hochgelobt wird in der internationalen Filmkritik die (preisverdächtige) Leistung des Hauptdarstellers Ralph Fiennes, der Kardinal Lawrence verkörpert. Als Kardinaldekan ist er für die Organisation des titelgebenden Konklaves (einer Papstwahl) verantwortlich. Das Amt belastet ihn sichtbar. Ein durchgängig gequälter Ausdruck in seinem Gesicht lässt keinen Zweifel daran. Eine differenziertere Mimik hätte dem Profil des leidtragenden Kirchenmannes aber gutgetan. Die Last des Amtes hindert Kardinal Lawrence nicht daran, sich wie selbstverständlich der grundsätzlichsten Regel eines Konklaves zu entziehen. Obwohl sich mehrere Szenen mit dem notwendigen Abschied der Kardinäle von der Außenwelt und deren Abschirmung in der Sixtinischen Kapelle (auch mithilfe von Störsendern) beschäftigen, trifft sich Lawrence zwischen den einzelnen Wahlgängen mit seinem Sekretär, holt Informationen ein und gibt Anweisungen, die die strenge Grenze zur Umgebung überschreiten. Diese Aktionen bleiben unhinterfragt, obwohl sie offensichtliche Auswirkungen auf den Wahlverlauf haben.
Wer die katholische Kirche von innen her kennt, wird in „Konklave“ zunächst keine Überraschungen erleben. Manche Szenen sind zwar nicht realistisch, aber das ist auch nicht der Anspruch – es ist ja kein Dokumentarfilm. Realistischer dargestellt sind die Charaktere, die den Film tragen. Sie stehen exemplarisch und klischeehaft für die Strömungen in der Kirche: Kardinal Tedesco als Italiener, der sich vor das Zweite Vatikanum zurücksehnt. Sein Landsmann, Kardinal Bellini, der sich nach der Zukunft sehnt. Ungewöhnliche Kräfteverhältnisse: Während der polternde und rückwärtsgewandte Kardinal Tedesco im Kardinalskollegium ziemlich isoliert erscheint (auch wenn er anfangs eine beachtliche Stimmenzahl für sich verbuchen kann), scheinen die fortschrittlicheren Kräfte um Kardinal Bellini (und Kardinaldekan Lawrence) besser vernetzt zu sein. Eine Dynamik, die sich in der Realität oft umgekehrt darstellt. Offen bleibt die Rolle des zunächst aussichtsreichen Kandidaten Kardinal Tremblay. Hatte der verstorbene Papst ihn tatsächlich kurz vor dem Tod des Amtes enthoben, und wenn ja, warum? Oder handelt es sich um eine Intrige? Intrige oder nicht – Tremblays Chancen schwinden mit den Wahlgängen.
Und da ist noch ein Mexikaner, Kardinal Benitez von Kabul in Afghanistan, von dem bis zum Konklave niemand etwas wusste, weil er aus Sicherheitsgründen nur geheim (in pectore: nur „in der Brust“) zum Kardinal ernannt worden war. Benitez verkörpert den Mann der Befreiungstheologie. Laut Kirchenrecht wäre ein Kardinal, der dem Kardinalskollegium niemals bekannt gemacht wurde, nicht stimmberechtigt, im Film ist er es doch. Seine Rolle bleibt geheimnisvoll, doch möchte man sie nicht missen. Sie macht den Film zwar nicht zu einem Thriller, gibt ihm aber Würze. Und sorgt für entscheidende Wendungen.
„Konklave“ vermittelt ein Gefühl für die Internationalität der Kirche. Auch wenn Kardinäle aus Asien nur eine Statistenrolle haben und ein den Wahlverlauf bestimmender Eklat um einen afrikanischen Kardinal viele Klischees erfüllt, machen Bilder und Szenen deutlich, dass sich in der Sixtinischen Kapelle nicht nur Europa versammelt hat. Kritik äußert einer der Kardinäle an der Gruppendynamik im Speisesaal, dass sich die Purpurträger nicht international durchmischen, sondern in ihren Heimatnischen bleiben. Ein kleiner Schnitzer im Drehbuch (oder in der Übersetzung?): „Die Engländer“ würden zusammensitzen, wird beklagt, ebenso wie etwa die Italiener, Franzosen oder Spanier. Da es nur einen Kardinal in Großbritannien und einen englischen Kardinal im Vatikan gibt, wäre das allerdings ein ziemlich beschaulicher Tisch.
Wie es sich für ein Konklave gehört, spielen Frauen eine Nebenrolle. Es handelt sich ausschließlich um Ordensfrauen, die die circa 120 wahlberechtigten Kardinäle zu versorgen haben. Im Wahlverlauf wird eine Ordensfrau politisch instrumentalisiert. Ihre Oberin, Schwester Agnes, zieht die Mitschwester sofort schützend aus der „Schusslinie“. Die italienisch-amerikanische Schauspiellegende Isabella Rossellini, die Schwester Agnes verkörpert, wird ebenso wie Hauptdarsteller Ralph Fiennes in der internationalen Presse für ihre Leistung hochgelobt. Und tatsächlich: Das Spiel der Nebenrolle Schwester Agnes ist in seiner verhaltenen Vielschichtigkeit noch preisverdächtiger als das des (auch lobenswerten) gestressten Hauptdarstellers (des Kardinaldekans). Aber ob eine Frauenrolle einen Preis für ein „Konklave“ gewinnen kann?
Dass der echte Papst Franziskus am 17. Dezember 88 Jahre alt wird und das nächste Konklave näher rückt, egal, ob es in einem Jahr, in fünf Jahren oder später stattfinden wird, steigert wohl das Interesse an diesem Spielfilm. Immerhin hat man nach dem Kinobesuch die Illusion, einen Einblick bekommen zu haben in die Abläufe und Dynamiken einer Papstwahl. Man war ja schließlich dabei.
Resümee: Das Kinodrama „Konklave“ changiert zwischen der bildhaften Attraktivität von Macht, Ritualen und Männern und der zermürbenden Langeweile von männlichen Machtspielchen. Drei Empfehlungen zum Schluss: Besuchen Sie diesen Film! Gehen Sie ausgeschlafen hin. Und halten Sie bis zum Ende durch, es lohnt sich.
Thriller, USA/GB 2024, 121 min., ab 8/empfohlen ab 14 Jahren
Regie: Edward Berger
Mit: Ralph Fiennes, Stanley Tucci, John Lithgow, Isabella Rossellini u. a.
Kurzbeschreibung von Constantin Film: Der Papst ist unerwartet verstorben. Kardinal Lawrence (Ralph Fiennes) ist mit der schwierigen Aufgabe betraut, die Wahl des neuen Papstes zu leiten. Mächtige Kardinäle aus aller Welt reisen für das Konklave nach Rom. Als sich die Türen zur Sixtinischen Kapelle schließen, entbrennt ein Spiel um Macht. Kardinal Lawrence findet sich im Zentrum von Intrigen und Korruption wieder und kommt einem Geheimnis auf die Spur, das die Grundfeste seines Glaubens erschüttern könnte. All das, während Millionen von Menschen darauf warten, dass weißer Rauch dem Schornstein der Kapelle entsteigt …
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