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Das bäuerliche Leben und der Blick auf die Roma als größte Minderheit in Europa werden thematisch behandelt.
Jakob Fischer, der Protagonist in Reinhard Kaiser-Mühleckers neuem Roman, hat sich in sein Schicksal gefügt. Bereits im Alter von 15 muss er die Verantwortung am elterlichen Bauernhof übernehmen. Der Vater hatte durch Grundverkäufe und andere abstruse Ideen den Hof ziemlich heruntergewirtschaftet. Doch ganz allgemein befindet sich die landwirtschaftliche Arbeit im Wandel, die Produktionsbedingungen wie die bäuerliche Kulturlandschaft. Direkt über dem Hof rauscht die Autobahn durch. Wie der Dorfkern zerfällt und letztlich „nur mehr aus der Bank“ besteht, sind auch die familiären Beziehungen durchwegs brüchig, ohne innigen Zusammenhalt, ohne Verbindlichkeit. Jakob experimentiert mit verschiedenen Geschäftsmodellen. Nichts gelingt wirklich gut. „Die Zukunft war für alle so ungewiss, wie sie es für die Vorfahren nie gewesen war.“ Die moderne Welt dringt durch die Medien ein und wird von Jakob skeptisch bis ablehnend aufgenommen. Doch dann scheint alles eine positive Wende zu nehmen, als die Künstlerin Katja zunächst als Praktikantin auf den Hof und mit Jakob zusammen kommt. Mit ihrer Tatkraft und unter ihrem Einfluss beginnt eine glückliche Phase. Sie gründen eine Familie und machen aus dem Hof einen Vorzeigebetrieb – und scheitern.
Kaiser-Mühlecker ist seinem Thema, der Beschreibung des Landlebens und der LandbewohnerInnen, treu geblieben. Er, der auf einem oberösterreichischen Bauernhof aufgewachsen ist, den er heute selber bewirtschaftet, sieht es als eine Verpflichtung, „die Welt, die ich kenne, darzustellen, also erfahrbar zu machen einem, der sie nicht kennt.“ Damit schließt er meisterhaft an das realistische Erzählen der 1970er-Jahre an und ist doch viel mehr als ein Chronist der katholisch-konservativen Provinz, als den ihn Kritiker schon sehen. Er entwickelt seine Figuren aus der Gegenwart und lässt sie ohne jede Bewertung ihren Weg in dieser Gegenwart mit ihren Sorgen und existenziellen Problemen gehen. „Wilderer“ handelt nicht nur von wildernden Hunden, sondern auch von einer unberechenbaren Wildheit des Lebens. Es ist ein düsterer, erschütternder, tieftrauriger Roman, der lange nachwirkt.
Reinhard Kaiser-Mühlecker: Wilderer.
Frankfurt a. M.: S. Fischer 2022, 349 S., € 24,70
ISBN 978-3-103-97104-0
„Es ist meine Obsession zu zeigen, dass selbst Gegenden, die von der Geschichte scheinbar übersehen oder gerade nur gestreift wurden, ihre Geschichte haben, und dass die Menschen, die dort leben, Teil von unser aller Geschichte sind.“ Für dieses Bekenntnis ist der Autor bekannt. Er hat vor allem europäische Randgebiete bereist und in seinen Büchern die dort lebenden Menschen und ihre Sprachen beschrieben. Häufig sind es deutschsprachige Minderheiten in der Ukraine, der Slowakei, Rumänien oder Ungarn, denen sein Interesse gilt. In dem neuen Buch geht es u.a. auch wieder um die größte Minderheit in Europa, die Roma, und die Ausgrenzung, der sie so gut wie überall ausgesetzt sind. Das aktuelle Buch des „Minderheiten-Gauß“, wie er auch genannt wird, basiert auf Tagebuchaufzeichnungen, die der 1954 Geborene zwischen seinem 60. und seinem 65. Geburtstag gemacht hat.
Das Buch ist eine Sammlung geworden von assoziativ aneinandergereihten, unzähligen Eindrücken und Themen, persönlichen Begegnungen und Überlegungen, kurzen Porträts und Reisebeschreibungen und vor allem Beobachtungen, die das Allgemeingültige im Unscheinbaren entdecken und zum Ausdruck bringen. Ein Lesebuch, das so gut wie alle Gauß‘schen Themen aus seinen unzähligen Büchern streift und das schon allein der sprachlichen Brillianz des Autors wegen eine Lesefreude darstellt.
Karl-Markus Gauß: Die Jahreszeiten der Ewigkeit.
Wien: Zsolnay 2022, 312 S.
ISBN 978-3-552-07276-3
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