„Die Mitarbeiter/innen wurden in zwei Lager geteilt, so muss man es fast sagen. Im Herbst hieß es noch: ‚Wir als Belegschaft halten zusammen.’ Diese Stimmung ist mittlerweile verloren gegangen“, beschreibt Betriebsseelsorgerin Ulrike Hammerl von mensch&arbeit Steyr die derzeitige Atmosphäre beim LKW-Hersteller. Dass die letzte Woche erfolgte Ur-Abstimmung dennoch so eindeutig ausgefallen war, damit hätte sie nicht gerechnet. Fast zwei Drittel der rund 2.200 Beschäftigten hatten sich gegen das Übernahmeangebot von Investor Siegfried Wolf ausgesprochen. Dass überhaupt eine Abstimmung stattfand, hält Hammerl für problematisch: „Auf diese Weise wurde die Verantwortung auf die Mitarbeiter/innen abgewälzt. Das finde ich ein bisschen feig.“ Ähnlich sieht es Sozial-Landesrätin Birgit Gerstorfer (SPÖ): „Es braucht mehr Zusammenhalt anstatt eines weltweiten Standortwettkampfs auf dem Rücken der Arbeitnehmer/innen.“ Für Wirtschafts-Landesrat Achleitner (ÖVP) ist das Votum „Ausdruck der Enttäuschung über den Umgang des MAN-Konzerns mit den Mitarbeiter/innen. Offenbar hat man auf MAN gezielt und den Investor Siegfried Wolf getroffen.“
Die Übernahme durch Wolf sei als alternativlos dargestellt worden, sagt Hammerl, in Wahrheit habe es durchaus andere Anbieter gegeben. Zu einem Gespräch eingeladen wurden sie nicht. Im ORF-Wirtschaftsmagazin Eco sagt etwa Gerald Ganzger, Sprecher einer Investorengruppe, dass man seit Monaten versuche, ein Angebot zu machen. Warum dies seitens des MAN-Konzerns nicht wahrgenommen wurde, erklärt sich Hammerl so: „Natürlich kann ich nur spekulieren, aber ich vermute, es liegt daran, dass Wolf nunmal einer von ihnen ist. Er kommt aus dem VW-Konzern, hat Kontakte nach Russland – jemand anderes wäre vielleicht zur Konkurrenz geworden.“
Gerstorfer sieht in der geplanten Wiederaufnahme der Schließungspläne das Ergebnis einer „egoistischen Ellenbogenpolitik“: „Ich habe kein Verständnis für das Verhalten von Volkswagen-MAN, noch für das Verhalten der Bundes- und Landesregierung. Hier sollen 8.000 Arbeitsplätze gefährdet werden, damit einige wenige noch mehr Profit erhalten.“ Für Achleitner sei es wichtig, dass „alle Verantwortlichen an den Verhandlungstisch zurückkehren und sich gemeinsam um eine Lösung zum Erhalt des Standorts Steyr und möglichst vieler Arbeitsplätze bemühen.“ Die SPÖ sieht die Lösung in einer staatlichen Beteiligung, wie Gerstorfer erklärt: „Für mich ist klar: Wir kämpfen um Arbeitsplätze, nicht nur in Steyr. Wir brauchen Investitionen der öffentlichen Hand, damit Unternehmen die Herausforderungen unserer Zeit bewältigen können.“ Bei Industrie und ÖVP-Wirtschaftsverbänden löste diese Idee wenig Begeisterung aus.
Im Herbst stehen in Oberösterreich wieder Landtags- und Gemeinderatswahlen an. Inwiefern der Fall MAN Steyr darauf Einfluss haben wird, darüber haben Gerstorfer und Achleitner unterschiedliche Ansichten. Für Gerstorfer ist klar: „Im Herbst wird darüber entschieden, wie ein Leben nach der Pandemie gestaltet werden soll. Alleine in Steyr ist einer von 100 oberösterreichischen Arbeitsplätzen gefährdet. Diese Zahlen werden leider steigen, denn ÖVP und FPÖ setzen keine Akzente, unternehmen zu wenig.“ Achleitner: „Es geht um den Erhalt der Produktion in Steyr und um die Arbeitsplätze der Mitarbeiter/innen. Da geht es um Schicksale, das ist kein Wahlkampfthema.“
Die Zukunft des Werks sehen sowohl Gerstorfer als auch Achleitner in der Nachhaltigkeit. „Es gibt in Steyr zahlreiche erfolgreiche Unternehmen. Daher hat aus unserer Sicht auch das MAN-Werk Steyr mit seinem Know-how die Chance zu einer erfolgreichen Neuausrichtung in Sachen nachhaltige Mobilität“, ist Achleitner überzeugt. Geht es nach Gerstorfer, soll Steyr der zentrale Standort für grüne Mobilität werden: „Wenn wir alle an einen Tisch holen und klug investieren, schaffen wir das. In Steyr gibt es die Tradition, das Wissen und die Fachkräfte, um die Zukunft zu gestalten. Auf diesen Schatz können und müssen wir aufbauen.“
Auch wenn die Zukunft des Werks weiterhin ungewiss ist, so hofft Betriebsseelsorgerin Hammerl doch, dass die Mitarbeiter/innen sich wieder mehr solidarisieren: „Ihnen bleibt zu wünschen, dass sie alles nüchtern betrachten können, und weniger emotional. Aber das wird sicher noch ein langer Prozess.“«
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