Die vorsätzliche Tötung von Frauen durch Männer aufgrund ihres weiblichen Geschlechts – weil sie Frauen sind – nennt man Femizid. Dieser Begriff geht zurück auf die bereits verstorbene südafrikanische Soziologin Diana Russel, die ihn 1976 beim internationalen Tribunal zu Gewalt gegen Frauen in Brüssel erstmals verwendet hat. Dort berichtete sie von zahlreichen Gewaltverbrechen mit Todesfolge, die an Mädchen und Frauen weltweit begangen wurden.
Die polizeiliche Kriminalstatistik in Österreich belegt: Im Jahr 2018 gab es 41 weibliche Mordopfer (32 männliche), 2019 waren es 39 (28 männliche), 2020 31 (23 männliche) und heuer 21 (Stand 14. 9. 2021). Diese traurigen Zahlen sind für Gabriele Plattner, Leiterin des Tiroler Frauenhauses, die Spitze des Eisbergs an Gewalt gegen Frauen. Denn „in Österreich ist jede fünfte Frau von körperlicher, psychischer und sexueller Gewalt betroffen, jede dritte Frau von sexueller Belästigung. Das ist eine immens hohe Anzahl von Frauen.“ Ein Grund dafür sei laut Plattner die Stellung der Frau in einer Gesellschaft. „Ohne Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, ohne Begegnung auf Augenhöhe, gibt es auch keine Gewaltfreiheit. Um Geschlechtergerechtigkeit in der Gesellschaft breit zu verankern, muss früh damit angesetzt werden – im Kindergarten, in der Schule. Menschen, die erwachsen werden, müssen von klein auf lernen, dass unabhängig des Geschlechts Menschen die gleichen Rechte, Möglichkeiten und Verpflichtungen haben. Dazu wünsche ich mir Programme etwa in Richtung faire Verteilung von Hausarbeit und in Richtung Lohngerechtigkeit“, sagt Plattner. Darüber hinaus braucht es eine ausreichende finanzielle Unterstützung sowohl der Opferschutzeinrichtungen als auch der Täterarbeitsstellen und deren Ausbau. Wichtig zu beachten sei laut Plattner auch, dass die Zugänge zu Beratungsstellen so niederschwellig wie möglich sein sollen, damit die Angebote für betroffene Frauen leicht genutzt werden können.
In Österreich gibt es zwar ein sehr gut funktionierendes Unterstützungsnetz und ein ausgezeichnetes Gewaltschutzgesetz, „doch leider ist die Verurteilungsrate im Vergleich zu den Anzeigen nach wie vor relativ gering. Da muss nachgeschärft werden“, betont Gabriele Plattner. Wenn von Tötung von Frauen gesprochen werde, gehe dieser oft eine jahrelange Martyriums-Geschichte voraus. „Bei vielen hat es vorher schon Anzeigen bzw. Wegweisungen und Betretungsverbote gegeben.“ Wesentlich sei deshalb, die Gewalt an Frauen und Mädchen frühzeitig zu erkennen, um Präventionsarbeit leisten zu können. Unterstützt werden müssen dabei auch traumatisierte Kinder und Jugendliche, die die Tortur an der Mutter miterlebt haben, damit sie bestmöglich in eine Zukunft ohne Gewalt gehen. „Allein zu sehen und zu hören, wie der Mama Leid angetan wird – da gehen wir noch nicht davon aus, dass sie getötet wurde –, ist immer auch eine Form der Gewaltanwendung an den Kindern und Jugendlichen selbst.“
Erkannt werden können Anzeichen von Gewalt etwa anhand von Abhängigkeitsverhältnissen oder anhand von abwertendem Verhalten einer Person der anderen gegenüber – wenn es z. B. um Druck, um Kontrolle, um Eifersucht geht gepaart mit Angst. In den meisten Fällen sind es die Ehemänner, Partner, Expartner, Bekannte oder Familienmitglieder von Frauen, die ein abwertendes Verhalten an den Tag legen. „Der gefährlichste Ort für Frauen und Kinder ist eindeutig die Familie bzw. der soziale Nahraum. Das belegen nicht nur zahlreiche europäische Studien, sondern auch sämtliche österreichische Statistiken der Gewaltschutzzentren, der Interventionsstellen, der Frauenhäuser und der polizeilichen Wegweisungen“, so Plattner. Bestimmte Verhaltensweisen von Opfern können ebenfalls darauf hinweisen, dass jemand Gewalt erlebt. „Angst oder der Rückzug aus der Gesellschaft sind Zeichen, denn das Ausüben von Gewalt ist oft verknüpft mit dem Verbot, Kontakt mit anderen aufzunehmen oder Freunde und Freundinnen zu treffen.“
Nicht jeder Täter ist gleich und die Motive, Gewalt an Frauen auszuüben, sind komplex. Eines ist Machtmissbrauch – die Struktur, sich selber zu erhöhen, indem man das Gegenüber kleiner macht. „Das hat ein Stück weit auch damit zu tun, die Kontrolle und die Bestimmungsmacht zu haben, was in einer Beziehung zu passieren hat. Da schließt sich für mich wieder der Kreis hin zu den Abhängigkeitsverhältnissen. Denn das sind keine Beziehungen, die auf Augenhöhe und gegenseitiger Wertschätzung basieren“, erklärt Plattner. Andere Täter greifen aufgrund von eigenen Mängeln zu Gewalt. „Dahinter stecken oft gesellschaftliche Bedingungen, da Männer mitunter sehr früh lernen, den eigenen Frust abzubauen, indem sie ihn an anderen Personen auslassen.“
Im Zusammenhang mit den Tätern wird häufig der Migrationshintergrund in den Vordergrund gerückt. „Oft sind wir verleitet zu sagen, das Problem wird von außen nach Österreich gebracht. Ich denke, das ist nicht der Fall, denn jede dritte Frau weltweit erlebt Gewalt – unabhängig von der Nation“, sagt die Leiterin des Tiroler Frauenhauses. Sehr wohl aber müsse man die Faktoren beleuchten, die Gewalt eher möglich machen. „Dazu gehört eine Gesellschaft, die eine sehr abwertende Haltung Frauen gegenüber hat – und das sind durchaus auch Männer mit Migrationshintergrund. Das muss man ernst nehmen.“
Seit 1. September gibt es ein Gewaltpräventionsprogramm der österreichischen Bundesregierung. Dabei werden Personen, gegen die ein Betretungs- und Annäherungsverbot ausgesprochen wurde, zu sechs Stunden Beratung verpflichtet. Für Plattner ist klar, dass Täter nach so kurzer Zeit nicht zu einer Veränderung ihres Verhaltens ansetzen werden, auch wenn es durchaus welche gäbe, die das von sich aus möchten. „Da braucht es deutlich mehr. Auf der anderen Seite ist es natürlich ein Signal an Täter, sie müssen sich verpflichtenderweise mit ihrer eigenen Tat auseinandersetzen. Das ist ein erster Schritt. Wie sich das künftig in der Praxis gestaltet, wird man sehen. Beraterinnen und Berater, die das durchführen, brauchen jedenfalls ein Wissen über Täterstrategien und darüber, wie die Gefährlichkeit von Tätern eingeschätzt werden kann. Denn es gibt leider auch jene, die keine Einsicht haben in ihre eigene Gewalttätigkeit.“ Wichtig sei, so Plattner, dass es prinzipiell immer eine Form von Täterberatung sein muss, bei der auch der Schutz des Opfers zentral ist. „Folglich braucht es zwischen beiden Einrichtungen eine gute Vernetzung. Da stehen wir am Beginn.“ «
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