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Norbert Lammert aus Bochum gehörte ab 1980 dem Deutschen Bundestag an, von 2005 bis 2017 war er Präsident des Deutschen Bundestages. Seit 2018 ist Lammert Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung. Auf Einladung der Stiftung Pro Oriente und des Oberbank Werte-Forums war der CDU-Politiker am 9. September 2021 in Linz und referierte vor mehr als 400 Gästen über „Errungenschaften und Gefährdungen der Demokratie“.
Das Jahr 1989 – der Fall des „Eisernen Vorhangs“ war der vermeintliche weltweite Siegeszug der Demokratie, macht Lammert aufmerksam. Innerhalb weniger Monate sind eine Reihe von Demokratien entstanden und es galt als geklärt, dass moderne Gesellschaften nur als Demokratie zu organisieren sind. Es wurde auf viele ganz unterschiedliche Gesellschaftsformen das „Pickerl“ Demokratie geklebt, bedauert Lammert: „Der Begriff hat sich durchgesetzt, der Sachverhalt nicht.“ Man muss ernüchtert feststellen, dass weltweit die Anzahl funktionierender Demokratien in den letzten dreißig Jahren gesunken ist: „Von den 198 selbständigen Staaten, die es heute gibt, genügen höchstens dreißig den Ansprüchen einer im vollen Umfang funktionierenden Demokratie.“ Weniger als zehn Prozent der Weltbevölkerung leben in einer solchen Demokratie. Der frühere Bundestagspräsident erläutert: „Neben den meisten europäischen Ländern gehören auch Deutschland und Österreich zu diesen privilegierten Staaten.“
Um den Wert der Demokratie zu erkennen, muss man sich bewusst machen, dass sie geschichtlich und weltweit gesehen der Ausnahmezustand ist. „Mir ist als jemand, der ohne eigenes Verdienst Nutznießer der glücklichsten Phase der deutschen Geschichte geworden ist, die Errungenschaft sehr bewusst, die sich mit einer stabilen Demokratie verbindet“, sagt der 73-jährige Lammert. Darum zitiert er auch immer wieder Barack Obama, der gesagt hat: „Die Demokratie ist dann am meisten gefährdet, wenn die Menschen beginnen, sie für selbstverständlich zu halten.“ Das versucht Lammert zu vermitteln: „Das ist die Achillesferse der Demokratie: Sie ist nicht unwiderruflich, sie erhält sich nicht selbst.“ Mit dieser Einsicht verbindet er den Aufruf, Verantwortung für das demokratische System zu übernehmen: „Es steht und fällt mit dem Engagement der Bürgerinnen und Bürger. Das wird am besten deutlich, wenn man es im Spiegelbild betrachtet: autoritäre Systeme unterbinden dieses Engagement.“ Nur wo sich Menschen für die Demokratie einsetzen, bleibt sie mit ihren Errungenschaften lebendig: „Zu den herausragenden Merkmalen einer Demokratie gehört ja, dass im Regelfall strittige Themen durch Mehrheit entschieden werden und dass es gleichzeitig Minderheitsrechte gibt, über die die Mehrheit nicht verfügen kann.“
Auf die Frage, was die Kirche von der Demokratie lernen kann, antwortet Lammert: „Dass ein aufgeschlossener, undogmatischer Diskurs eine wesentliche Voraussetzung für Erkenntnisfortschritt ist. Die Kirche hat sich aber in ihrer Geschichte durch das Abschneiden von offenen Diskursen manche Optionen verschlossen, die sie dann nach innen und außen eher belastet als in ihrer Entwicklung befördert haben.“ Der frühere Bundestagspräsident weist darauf hin, dass es natürlich Grenzen gibt, was die Übertragbarkeit von politischen Entscheidungsverfahren auf innerkirchliche Prozesse angeht: „Auf der anderen Seite wird seit Jahrhunderten das Oberhaupt der katholischen Kirche durch Wahlen bestimmt. Diese alte Praxis ist ein starkes Indiz dafür, dass die Behauptung ‚Die Demokratie habe in der Kirche keinen Platz‘ offenkundig falsch ist.“ Im Blick auf Religion und Kirche gelte Ähnliches wie für Politik und Staat, betonte Lammert: „Die Lücke zwischen Erwartung und Realität ist in beiden Bereichen beachtlich.“
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