„Mama, versprich mir eins: Stirb nicht, ich brauch dich noch!“ – Es hat einige Zeit gedauert, bis der zehnjährige Raphael so zu seiner Mutter sprach. Zwischen ihrem Erzählen, dass sie schwer krank ist, und dem oben zitierten Satz von Raphael lagen zehn Tage, in denen der Sohn scheinbar unbewegt war.
Raphael hat eine „Autismus-Spektrum-Störung“. Er lebt zurückgezogener als die meisten Kinder, reagiert mitunter ungewöhnlich emotional, braucht Sicherheit und kommt nur schwer damit zu Rande, wenn etwas nicht wie vereinbart oder erwartet möglich ist. Das war bei seinem Geburtstag vorigen Juli so und auch zu Weihnachten: Seine Mutter Michaela bekam die Diagnose Leukämie und musste ins Spital. Tage später kam Raphael aus seinem Schweigen heraus: „Mama, gelt, du bist schwer krank, du hast Krebs“, sagte er und bat dann um das Versprechen, dass sie nicht stirbt. „Er geht tapfer mit mir durch meine Krankheit“, bewundert die Mutter ihren Sohn.
Gespür
Raphael hat ein feines Gespür für die Menschen, mit denen er zu tun hat. Umgekehrt ist es oft nicht so. Da kann es zu schmerzlichen Erfahrungen kommen, erzählen die Mutter und deren Freundin Marianne, die viel Zeit mit Raphael verbringt und eine wichtige Stütze der so notwendigen Verlässlichkeit für Raphael ist. Schmerzliche Erfahrungen fallen ihnen viele ein, etwa verstohlene Blicke und unverhohlen feindselige Anmerkungen im Vorübergehen, die sie und Raphael ernteten, als der Bub im Oktober noch bis zu den Knien in den Linzer Pleschingersee stieg und eine Riesenfreude daran hatte. Das war auch so, als er anschließend zum McDonalds ebenso barfuß ging. Oder wenn er im Tierpark für andere unerwartet emotional wird und laut seiner Freude Ausdruck gibt.
Freude an der Natur
Als er in den Kindergarten kam, fiel auf, dass Raphael anders reagiert. Untersuchungen begannen. Die erste Diagnose lautete: Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Aber die Mutter zweifelte daran. Raphael hatte viele Begabungen. So baute er als Kleinkind auch drei Puzzles gleichzeitig zusammen. Er hatte auch eine ausgeprägte Vorstellung davon, wie zum Beispiel eine Zeichnung werden soll. War sie dann nicht so, konnte er sehr wütend werden. In die Natur kann er sich sehr vertiefen. Und er hat ein großes Gedächtnis für Dinge, die ihn interessieren. So erinnert er sich noch lange nach dem Ereignis an Resultate samt Laufzeiten von Skirennen. Dagegen fällt es ihm sehr schwer, an etwas dranzubleiben, das nicht seinem Interesse entspricht.
Gut betreut
Mutter Michaela Lechenauer blickt auf schwierige Zeiten zurück: Scheidung, alleinerziehende Mutter und dann die Krebserkrankung. Sie ist der Caritas-Einrichtung St. Isidor sehr dankbar, dass ihr Sohn dort eine so ausgezeichnete Betreuung bekommt – in der Schule und in der Wohngruppe. Er wohnt mit fünf autistischen Jugendlichen zusammen. Raphael ist bestens betreut und gefördert, sagt die Mutter. Wichtig ist, das ausgeprägte Bedürfnis nach Rückzug gut einzubetten. Das tut St. Isidor und auch die Mutter: Raphael kann sich da und dort in sein eigenes Zimmer zurückziehen.
Sicherheit
Isidor hat Michaela Lechenauer die Sicherheit gegeben, dass Raphael in guten Händen ist, als sie schwerstkrank lange im Spital war. Die beiden Schwestern von Raphael konnte sie ebenso gut in einer sozialpädagogischen Wohngruppe im Wohnort unterbringen. – Sicherheit, das war eine Stütze für sie, und Sicherheit ist auch für Raphael sehr wichtig: Wenn zum Beispiel ausgemacht ist, dass er am Samstag um 10 Uhr in St. Isidor abgeholt wird, dann muss er sich drauf verlassen können. Und noch eine ganz andere Sicherheit ist eine Tatsache: Mutter Michaela kann sich auf das feine Gespür von Raphael verlassen. Er spürt, ob es Menschen gut meinen oder nur oberflächlich freundlich sind. Einrichtungen wie die Caritas und die Diakonie nehmen sich um Menschen mit Autismus an. Die Förderungen dort und alle ihre Bemühungen lassen Mutter Michaela hoffen, dass ihr Sohn einmal auf eigenen Füßen stehen wird. In St. Isidor kann er bis zur Volljährigkeit bleiben. Und so noch viel Selbstständigkeit einüben.
Weltautismus-Tag
Am 2. April ist Weltautismus-Tag. Caritas und Diakoniewerk weisen darauf hin, dass Menschen mit Autismus Verständnis und Begleitung brauchen. Diese bieten auch Caritas und Diakonie an. In den Caritas-Einrichtungen St. Isidor, St. Pius und invita werden etwa 40 Kundinnen und Kunden mit Autismus (Kinder, Jugendliche und Erwachsene) betreut. Zudem nehmen 40 Kinder und Jugendliche wöchentlich in St. Isidor heilpädagogisches Reiten in Anspruch.