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„Das Alter ist eine Lebensphase, in der der Mensch sehr gefordert ist“, sagt Gerlinde Poimer, Partner-, Ehe-, Familien- und Lebensberaterin in Linz. „Er muss oft mit Sinneseinschränkungen, Mobilitäts- und Kräfteverlust leben lernen. Das kann sehr verunsichern.“ Oft verheimlichen oder ignorieren die Betroffenen diese Veränderungen und fragen nicht um Hilfe, weil sie das Gefühl haben, damit den anderen zur Last zu fallen – und das schlage sich auf den Selbstwert, sagt Poimer.
Mit unseren Fähigkeiten erschließen wir uns auch unsere Ressourcen, sagt Altenheimseelsorgerin Carmen Rolle: „Mit den Fähigkeiten zu tun, was uns gut tut, gehen auch Quellen für Freude, Trost oder einfach Unterhaltung verloren. Außerdem prägen sie unser Selbstbild: Ich sehe mich beispielsweise als Leserin mit Freude an der Sprache und Begegnungen in der Bibliothek. Das fällt mit dem Verlust des Lesen-Könnens weg, also muss ich mir neue Ressourcen erschließen und ein neues Bild von mir selbst entwickeln.“ Der Verlust von Fähigkeiten werde häufig auch als „Versagen“ erlebt, denn „bei uns gilt jemand als erfolgreich, der viel selbst schafft und sehr tüchtig ist“, sagt Rolle. Durch den hohen Wert, den wir der Autonomie beimessen, würden es Menschen als tiefe Demütigung erleben, gepflegt zu werden: „Nicht erst seit Instagram möchten sich Menschen von ihrer schönen Seite zeigen.“
Was den alten Menschen helfe, besser in und durch diese Phase des Lebens zu gehen, sei das Ermöglichen von „Selbst-Sorge“ anstatt „Für-Sorge“ durch die Unterstützung der Mitmenschen, sagt Carmen Rolle: „Ganz wichtig ist, nachzufragen: Wie ist das für dich, dass du diese Dinge nicht mehr kannst? Möchtest du stattdessen etwas anderes (lernen)? Und dann tatsächlich die nötige Unterstützung leisten. Wichtig ist, möglichst viele Ressourcen zugänglich zu halten.“ Gerlinde Poimer gibt zu bedenken, dass ältere Menschen aber auch oft darunter leiden, dass sie von ihren Mitmenschen unterschätzt werden, ihnen viel nicht mehr zugetraut wird, was sie noch machen könnten oder gerne machen würden.
Kann ein Mensch tatsächlich nicht mehr tun, was er bisher gerne gemacht hat – etwa stricken, nähen, lesen, basteln, kochen, wandern – entsteht ein Trauerprozess, sagen Rolle und Poimer. In der Beratung findet Poimer wichtig, diesen Prozess zu begleiten und den Fokus auch auf das zu legen, was trotz der Einschränkungen noch möglich ist und nach kreativen Lösungen zu suchen. Außerdem müsse der Selbstwert und Lebensmut der Betroffenen gestärkt werden, weil viele glauben, wenn die Produktivität nachlässt, seien sie als Personen nicht mehr wertvoll. Ein wesentlicher Punkt ist die klare Kommunikation zwischen dem alten Menschen und seinen Angehörigen, das etwa erstere ihre Wünsche klar formulieren gegenüber den Angehörigen, und umgekehrt diese auch signalisieren: „Wir sind für dich da.“
„Es ist eine Lebensaufgabe bis ins hohe Alter, dass der Mensch immer wieder schaut, wo seine Kraft- bzw. Lebensquellen sind, aus denen er schöpfen kann“, sagt Poimer. Das können Angebote vor Ort sein wie eine Seniorentanzgruppe, -Cafés und Ähnliches.
Margareta Vogel aus Linz, seit zehn Jahren Pensionistin, hat gleich zwei Tätigkeiten gefunden, die ihr Spaß machen und wo sie viele soziale Kontakte mit Alt und Jung knüpfen kann. Einerseits engagiert sich die frühere Kindergärtnerin freiwillig im Seniorenwohnhaus Borromäus, andererseits ist sie einmal in der Woche Leihoma. Daneben liest sie sehr gerne und geht mit ihrem Mann wandern oder die beiden fahren gemeinsam auf Urlaub. Eine kleine Beschäftigung zu haben und nicht nur zu Hause zu sitzen, sei gut für die Seele, sagt Margareta Vogel. Trotz Einschränkungen solle man sich nicht zurückziehen, sondern versuchen, Kontakte aufrechtzuerhalten und etwas zu finden, das man tun möchte.
Ängste oder Sorgen bezüglich des Älterwerdens habe die 70-Jährige keine, auch wenn sie ab und zu traurig sei, wenn Freund:innen sterben, das Knie manchmal Probleme macht, das Kreuz wehtut oder sie Hilfe „beim Computer“ braucht: „Älter werden ist etwas Wunderbares. Ich mache noch, was ich kann und solange es gut geht. Mein Mann und ich haben immer bewusst und gesund gelebt, waren immer gemeinsam an der frischen Luft.“ Dennoch sei ihr bewusst, dass irgendwann die Zeit kommt, wo nicht mehr alles möglich ist – „Das ist das Leben, es hat ein Anfang und ein Ende“ –, weshalb Margareta Vogel schrittweise Vorbereitungen trifft: „Wir sind in einem Alter, wo wir Gesundheit und Ruhe brauchen und keine Luxusgegenstände.“ Beispielsweise habe sie deshalb nicht mehr benötigte Kleidung und Küchengeräte aussortiert und gespendet, „sodass andere Leute wieder profitieren können und die Sachen nicht im Müll landen.“ Ein weiterer Vorteil sei, dass die Kinder nicht damit belastest würden, all die Gegenstände einmal entsorgen zu müssen.
„Wenn die Zeit reif ist – und das entscheidet die betroffene Person selbst – ist es ganz normal, dass ein alter Mensch allmählich Fähigkeiten verliert und keinen Ersatz mehr erarbeitet“, sagt Altenheimseelsorgerin Carmen Rolle. „Für viele ist es okay, einmal das Wandern einzustellen oder das Fernsehen. Die Kreise, die wir im Leben ziehen, werden immer kleiner – das ist ein langer Weg, uns aus dieser Welt zu verabschieden.“
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