Wort zum Sonntag
In den verschiedenen Sprachnischen, die der evangelische Theologe in seinem neuen Buch „Am Anfang war die Floskel“ unter die Lupe nimmt, ist das nicht immer der Fall.
Mitverfolgen konnte das in Corona-Zeiten eine breitere Öffentlichkeit, die wegen der Lockdowns die Gottesdienste von zu Hause aus per Live-Übertragungen übers Fernsehen, das Radio oder das Internet mitgefeiert hat. In Predigten haben sich da so manche leere oder unverständliche Phrasen eingeschlichen, die bei den Zuhörenden oft nicht angekommen sind. Diesem so genannten „Stuhlkreisgeschwurbel“ widmet sich Andreas Malessa mit viel Humor.
Gute Predigten zu schreiben ist nicht leicht. Da kann es schon vorkommen, dass Pfarrer in den Kirchenjargon verfallen und der Sinn des Gesagten beim zuhörenden Kirchenvolk nicht ankommt. Sie haben das in Ihrem Buch mit viel Augenzwinkern beleuchtet ...
Andreas Malessa: Ja, ich habe verschiedene Sprachnischen ein bisschen ironisch aufs Korn genommen, darunter auch die der Kirche. Dabei wollte ich niemanden herabsetzen und mich nicht über andere lustig machen, sondern es ging mir um die Not eines ortsfesten Pfarrers, der ja nicht mit einem Manuskript durchs Land fährt und immer neues Publikum hat, sondern stets dieselben Leute vor sich. Wenn sie sich in die Rolle eines lokalen Pfarrers versetzen, muss der 52 Sonntage, 10 bis 12 kirchliche Feiertage plus wöchentlich eine Beerdigung und monatlich eine Trauung mit sinnvollen Predigtreferaten und ansprachenähnlichen Texten versehen. Das ist zunächst einmal eine enorme Leistung, die es zu würdigen gilt. Dazu kommt, dass heutzutage die Kirchenmitglieder anspruchsvoller geworden sind, weil sie gute Präsentationen aus ihren Berufen gewohnt sind.
Das stresst natürlich ...
Malessa: Ja, der Erwartungsdruck an eine geschliffene Rede ist dadurch auch in der Kirche gestiegen. Ob ausgesprochen oder unausgesprochen. Da ist es dann geschmacklos, wenn Feuilletonjournalisten auf das Stuhlkreisgeschwurbel, wie es manches Mal genannt wird, draufhauen. Das wollte ich augenzwinkernd als freundlichen kollegialen Rippenstoß beschreiben.
Nicht nur in der evangelischen Kirche, sondern auch in der katholischen werden vermehrt unklare, leere Floskeln verwendet. Komplizierte Sprache verständlich auszudrücken ist herausfordernd. Warum tut sich die Kirche da besonders schwer?
Malessa: Weil sie lauter Abstrakta verkaufen muss. Alle großen Begriffe – Glaube, Gottes Liebe, Hoffnung, Gnade, Vergebung, Gerechtigkeit – und alle großen Texte – Bergpredigt, Gleichnisse Jesu, Römerbrief des Apostels Paulus – sind superklug und höchst nützlich für unser menschliches Zusammenleben, bedürfen aber der ganz konkreten Übersetzungen ins Heute. Das ist die Herausforderung. Das ist so, als wenn ein Philosophieprofessor ein Handbuch für ein Küchengerät schreiben müsste.
Wie könnte Ihrer Meinung nach die Sprache der Kirche verständlicher vermittelt werden?
Malessa: Indem sich die Pfarrer oder in der evangelischen Kirche auch die Pfarrerinnen zum Bibeltext, den sie zu predigen haben, überlegen, wo kommt dieser beschriebene Gedanke im Alltag meiner Hörerinnen und Hörer vor. Welche ganz praktischen Anknüpfungspunkte, welche Enterhaken im vorbeisegelnden Schiff meiner Hörer gäbe es. Oft fehlt es an Alltagsnähe. Ich habe aber kein Buch geschrieben nach dem Motto: Sag es treffender. Dies ist kein Ratgeber für Pfarrer und Pfarrerinnen, sondern dies ist eine gesellschaftskritisch humorige Beobachtung der Szene.
Was haben Sie beobachtet?
Malessa: Beispiele für kirchenamtliches Geschwurbel gibt es eine Menge: „Mit den anderen das Eigene neu entdecken und in der Achtsamkeit für das Andere ein Wahrnehmen des uns Fremden finden“. Oder: „Naturalmeditation“, „Gebetsgebärden“, „Atemholen mit ignatianischen Exerzitien“, „Vesper im byzantinischen Ritus“. Kleine Hinweise von mir: Es geht um Ignatius von Loyola, Byzanz ist Istanbul, aber nicht muslimisch, mit Vesper ist die Uhrzeit, nicht die Mahlzeit gemeint.
Es gibt in Österreich und in Deutschland so genannte muttersprachliche Gruppen, die Gottesdienste feiern, etwa Kroaten, Italiener oder Syrer. Zunehmend besuchen diese Leute auch deutschsprachige Gottesdienste – und tun sich mit Phrasen in den Predigten sicher noch schwerer ...
Malessa: Ja, sie wollen aber nicht dauerhaft unter sich bleiben, lernen immer besser Deutsch und stellen dann auch die richtigen Fragen – herrlich. Wenn es heißt „Wir haben dich aufgenommen“ wird z. B. gefragt: „Huch, habt ihr alle meine Gespräche mitgeschnitten?“. Die Antwort: „Nein, wir haben dich in unsere Gemeinschaft aufgenommen“. Überlegen Sie mal, wie viele Bedeutungen das Wort „aufnehmen“ hat. Diese Fragen stellt einem kein Deutscher und kein Österreicher. Diese Fragen stellen uns die, die gerade Deutsch lernen. Das ist ein wunderbares Übungsfeld, über den eigenen Gebrauch von Sprache nachzudenken.
In Ihrem Buch geht es auch um biblische Redewendungen. Die werden heutezutage allerdings gut verstanden – auch von jenen, die nicht religiös sind. Martin Luther hat ja „dem Volk aufs Maul geschaut“ und die Sprache der Bevölkerung in seine Bibelübersetzung einfließen lassen, damit jeder sie nachvollziehen konnte ...
Malessa: Ja, die verdanken wir dem genialen Martin Luther, der viele Wortschöpfungen und Begriffe ge- und erfunden hat, als er 1521/22 auf der Wartburg das Neue Testament aus dem Griechischen ins damalige Deutsch übersetzte. Und die haben erstaunlicherweise 500 Jahre überdauert. Das sind Sprichwörter wie „sein Scherflein beitragen“, „Perlen nicht vor die Säue werfen“ oder „sein Licht nicht unter den Scheffel stellen“. Die Leute wissen oft gar nicht, dass diese Redewendungen aus der Bibel stammen. Müssen sie auch nicht. „Das also war des Pudels Kern“ sagt ja auch jemand, der nicht weiß, dass es von Goethes „Faust“ ist.
Sie selbst predigen auch immer wieder. Wie bereiten Sie sich vor?
Malessa: Genauso, wie ich es anderen empfehle. Ich frage eindringlich, welche Leute erwartet werden. Jeder Veranstalter eines Vortrags oder eines Kulturevents, und dazu zähle ich auch Gottesdienste, kann einem ungefähr sagen, mit welcher Art Publikum in etwa zu rechnen ist. Und dann frage ich mich, was könnte diese Leute an meinem Thema, das ich habe, interessieren. Wo ereignet sich das in deren Leben. Dann schreibe ich ein Manuskript und lese es meiner Frau vor. Sie sagt immer, du glaubst wohl, wenn ich es verstehe, verstehen es alle. Und ich sage: Ja. Und wenn sie sagt, das ist authentisch Du, ich habe es verstanden und ich musste sogar zwei-, dreimal schmunzeln, dann funktioniert das meistens auch im Saal. Wurscht, ob da 50 oder 500 Leute sitzen.
Unterschreiben Sie den Satz „Tritt frisch auf, mach’s Maul auf, hör bald auf“, der Martin Luther zugeschrieben wird und den er den ersten evangelischen Kanzelpredigern geraten haben soll?
Malessa: Ja. Dieses „Tritt frisch auf“ ist die größte Herausforderung für Lokalpfarrerinnen und Pfarrer, weil sie so oft auftreten müssen und aus einer gestressten Situation heraus nicht frisch sein können. Diese Ruhe, die ich vor einem Abendvortrag habe, wenn ich drei Stunden im ICE sitze, hat ein Ortspfarrer nicht. „Mach‘s Maul auf“ fordert, sich zu trauen, auch Ross und Reiter zu nennen, wenn es um Kritik geht oder darum, eine Position einzunehmen und ein Statement zu machen. Und „hör bald auf“: Ich mache seit 35 Jahren immer noch Radio. Im Deutschlandfunk oder im SWR-Stuttgart muss ich manches Mal komplizierte Dinge in drei Minuten sagen. Das ist natürlich die grausamste Form des Trainings. «
- Buchtipp: Andreas Malessa „Am Anfang war die Floskel.“, bene! Verlag, Originalausgabe 2022, Euro 12.
Andreas Malessa (66) ist ein deutscher evangelischer Theologe, Hörfunkjournalist bei ARD-Sendern und Autor von Sachbüchern und Biografien. Als gefragter Moderator und Fachreferent setzt er sich mit kulturellen, sozialethischen und kirchlichen Themen auseinander. Seine Talkformate und Dokumentarfilme machten ihn als humorvollen Gesprächspartner bekannt.
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