Wort zum Sonntag
Obwohl er sich zu seinem 79. Geburtstag im Oktober 2010 offiziell aus der Öffentlichkeit zurückzog, äußerte sich Tutu bis zuletzt kritisch gegen Rassismus und Diskriminierungen in Südafrika und in vielen Ländern der Welt. Dennoch war eines seiner Markenzeichen sein Humor.
Nelson Mandela nannte Desmond Tutu die "Stimme der Schwarzen". Als seit Mitte der 1970er Jahre die meisten Schwarzen-Führer im Gefängnis saßen, wuchs Desmond Tutu mehr und mehr in die Rolle des Hoffnungsträgers gegen den Apartheid-Staat hinein. Die weißen Machthaber zogen mehrfach seinen Pass ein, verhafteten ihn.
Doch noch vor Gericht klagte er die vermeintlich christlichen Politiker an, die ihre Parlamentssitzungen mit einem öffentlichen Gebet begannen: "Unser Gott macht sich etwas daraus, dass Kinder in 'Umsiedlungslagern' verhungern - so nennt man ja wohl diese Schuttabladeplätze für die armseligen Opfer dieses gemeinen und bösartigen Systems. Der Gott, den wir anbeten, macht sich etwas daraus, dass Menschen unter mysteriösen Umständen in Untersuchungshaft sterben."
Je mehr Tutu an weltweitem Ansehen und Autorität erwarb, desto weniger angreifbar wurde er im eigenen Land. Er scheute sich nicht, im Ausland zum Wirtschaftsboykott gegen Südafrika aufzurufen. Für seinen "gewaltlosen Einsatz gegen das Apartheid-Regime" wurde er 1984 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet und im selben Jahr zum anglikanischen Bischof von Johannesburg gewählt - als erster Schwarzer. Nur zwei Jahre darauf folgte die Ernennung zum Erzbischof von Kapstadt und damit zum Oberhaupt der zwei Millionen Anglikaner des Landes. Seine Wahl stieß jedoch auch auf Kritik: Viele weiße Anglikaner - durchaus nicht nur Freunde des Systems - sahen darin ein "billiges Nachgeben" gegenüber dem militanten schwarzen Lager und befürchteten eine Politisierung des Amtes.
Streitbarkeit und Furchtlosigkeit waren für den ironischen und rhetorisch brillanten Kirchenführer jedoch keineswegs Zeichen von Gewaltbereitschaft: "Ob es mir passt oder nicht, ob es ihm passt oder nicht - Präsident Botha ist mein Bruder, und ich bin verpflichtet, ehrlich für sein Wohl zu beten", so seine Botschaft bei der Amtseinführung in Kapstadt. Immer wieder wurden jedoch auch Stimmen laut, die Tutus Neigung zur Demagogie kritisierten und Zweifel an seiner Fähigkeit zur Integration anmeldeten.
Nach seinem Rücktritt als anglikanischer Erzbischof von Kapstadt 1996 wirkte der Friedensnobelpreisträger von 1984 als Vorsitzender der südafrikanischen "Wahrheitskommission", die Verbrechen im Apartheid-Staat zwischen 1960 und 1994 aufklären sollte.
Mit dem Ende des Apartheid-Staates zu Beginn der 90er Jahre war die "moralische Wende" in Südafrika noch lange nicht geschafft. Die wohl undankbarste Aufgabe stand dem "Quälgeist" (Tutu über Tutu) noch bevor. Als Vorsitzender der "Kommission für Wahrheit und Versöhnung" hörte er Opfer und Täter des Systems an - 20.000 Fälle der Jahre von 1960 bis 1994 wurden in drei Jahren untersucht.
Freunde konnte sich der streitbare Bischof damit nicht machen. Nicht nur die ehemaligen Machthaber, darunter Friedensnobelpreisträger de Klerk, brachen mit der Kommission; auch die ehemaligen "Opfer" des nun regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) versuchten in einem unwürdigen Schauspiel, die Veröffentlichung des 3.500 Seiten langen Abschlussberichts zu verhindern. Denn die Kommission hatte ohne Scheu auch die Folterungen, Attentate und Mordbefehle der Schwarzen-Organisation angeprangert. "Ich habe nicht mein Leben lang gegen Tyrannei gekämpft, um sie durch eine andere Form der Tyrannei ersetzt zu sehen", erklärte Tutu damals wütend.
Sein Credo: Keine Zukunft ohne Versöhnung. "Vergebung bedeutet", so der geistliche Friedensnobelpreisträger, das Recht aufzugeben, es dem Täter mit gleicher Münze heimzuzahlen". Doch der Lohn für solche Unbestechlichkeit waren zunächst vor allem Lügen, Tränen, neuer Hass. Zwei Drittel aller Südafrikaner, egal welcher Hautfarbe, waren überzeugt, die Kommission habe nicht zur Versöhnung beigetragen, sondern die Gräben zwischen den Rassen vertieft. Darin war sich Tutus "Regenbogennation" einig - in der Uneinigkeit.
Tutu wurde am 7. Oktober 1931 in der Bergbaustadt Klersdorp/Transvaal geboren. Er war zunächst als Lehrer tätig, gab jedoch seine Stelle 1957 aus Protest gegen die rassistische Bildungspolitik der Apartheid-Regierung auf und entschied sich für eine geistliche Laufbahn in der anglikanischen Kirche.
Nach dem Studium in Südafrika und England und der Diakonatsweihe in London arbeitete er dort als Funktionär beim Weltkirchenrat. 1975 wurde er Superintendent in Johannesburg, 1976 Bischof von Lesotho und 1978 Generalsekretär des südafrikanischen Kirchenrates.
Für seinen gewaltlosen Kampf gegen die Rassentrennung in Südafrika wurde Tutu 1984 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet; im selben Jahr wurde er zum Bischof von Johannesburg ernannt. Von 1986 bis 1996 war er Erzbischof von Kapstadt und damit Oberhaupt von rund zwei Millionen Mitgliedern der Anglikanischen Gemeinschaft in Südafrika.
Im November 1995 ernannte ihn der damalige Staatspräsident Nelson Mandela zum Vorsitzenden der "Kommission für Wahrheit und Versöhnung". Diese Aufgabe bekleidete er bis zur Übergabe des Abschlussberichts im Oktober 1998.
Zu den Auszeichnungen Tutus zählen der Martin-Luther-King-Preis, das deutsche Große Bundesverdienstkreuz (1996) sowie rund drei Dutzend Ehrendoktorwürden. 2016 erschien Tutus Buch "The Book of Joy" (Das Buch der Freude), das er gemeinsam mit dem 14. Dalai Lama verfasste.
Papst Franziskus hat den verstorbenen anglikanischen Erzbischof Desmond Tutu für dessen Engagement gegen Rassismus gewürdigt.
Das katholische Kirchenoberhaupt sei betrübt über den Tod des Südafrikaners, heißt es in einem Beileidstelegramm von Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin. Darin werden auch die unablässigen Bemühungen Tutus um Frieden und Versöhnung in seiner Heimat hervorgehoben.
Franziskus hatte Tutu - neben anderen bedeutenden Nichtkatholiken - in seiner jüngsten Enzyklika "Fratelli tutti" (2020) als Quell der Inspiration erwähnt.
Das Oberhaupt der anglikanischen Weltgemeinschaft, Erzbischof Justin Welby von Canterbury, erklärte: "In Desmond Tutus Augen sahen wir die Liebe Jesu. In seiner Stimme hörten wir das Mitgefühl Jesu. In seinem Lachen hörten wir die Freude Jesu. Tutu sei "ein Prophet und Priester" gewesen, "ein Mann der Worte und Taten - einer, der die Hoffnung und Freude verkörperte".
Der amtierende anglikanische Erzbischof von Kapstadt, Thabo Makgoba, rief dazu auf, "als gläubige Christen das Leben eines tief spirituellen Menschen zu feiern". Tutus Glaube habe seinen Einsatz gegen die Rassentrennung und das Apartheid-Regime motiviert. "Er kämpfte gegen Systeme, die die Menschlichkeit erniedrigten", so Makgoba.
Auch zahlreiche internationale Politiker verneigten sich vor Tutu. In Österreich taten dies Bundespräsident Van der Bellen und Bundeskanzler Nehammer.
"Er hat sich für Menschenrechte stark gemacht und für eine friedliche Welt", schrieb Bundespräsident Alexander Van der Bellen auf Twitter. "Sein Wirken ist eine große Inspiration für uns alle".
Wie auch Bundeskanzler Nehammer hob er Tutus entschlossenen Kampf gegen die Apartheid hervor. "Tutu war eine moralische Instanz, sein Tod ist ein schmerzlicher Verlust", so Nehammer. "Sein Einsatz, sein Wort und seine Taten werden unvergessen bleiben."
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