Wort zum Sonntag
Nach einem Wortgottesdienst mit katholischen Bischöfen, Priestern, Ordensleuten, Seminaristen und Seelsorgern von der gesamten Arabischen Halbinsel hat Papst Franziskus am Sonntag in Manama seine viertägige Bahrain-Reise beendet. In seiner Schlussansprache in der ersten katholischen Pfarrei der Arabischen Halbinsel machte er unmissverständlich klar, dass er die oft geäußerte Sorge, das Christentum sei im Nahen Osten dem Untergang geweiht, nicht teilt. Im Gegenteil: Er rief die Zuhörer auf, in den „multireligiösen und multikulturellen“ Gesellschaften, in denen sie leben, „zugunsten des Dialogs, als Stifter von Gemeinschaft mit den Brüdern und Schwestern anderer Glaubensrichtungen und Konfessionen“ zu wirken.
Angesichts eines Christenanteils von fünf bis zehn Prozent in den meisten Staaten des Nahen und Mittleren Ostens klang das kühn. Doch die Erfahrungen seiner Besuche in den Vereinigten Emiraten (2019), im Irak (2021) und jetzt in Bahrain scheinen den Papst darin bestärkt zu haben, dass die Christen im Allgemeinen und die Katholiken im Besonderen in dieser Region aktiv auftreten und etwas bewirken können: als Anwälte von Minderheitenrechten, Toleranz und Religionsfreiheit, als Protagonisten des Dialogs, der Geschwisterlichkeit und des Friedens.
Die großen Freiluftgottesdienste in Abu Dhabi, Erbil und Bahrain, an denen bei drei Papstreisen Zehntausende Gläubige aus mehr als 100 Nationen teilnahmen, haben gezeigt, dass die Christen im Nahen Osten heute eine Gemeinschaft bilden, die Nationen, Kulturen und Sprachen übergreift und deren Werte für jeden Staat in der Region ein Gewinn sein können. In einer Weltgegend, in der konfessionell und ethnisch motivierte Konflikte stets dominante Faktoren der Politik sind, ist das eine bemerkenswerte Alternative.
Öffentlicher Höhepunkt des Besuchs im kleinen, wohlhabenden Königreich Bahrain war die Messe im Nationalstadion in Riffa. Knapp 30.000 Menschen füllten die Ränge und das Spielfeld. Mit dem Papst am Altar waren auch Österreichs Kardinal Christoph Schönborn, der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch und der deutsche Benediktiner Nikodemus Schnabel.
In seiner Predigt richtete sich der Papst auch an die Christen aus Saudi-Arabien und den kleineren Golfstaaten. Und er brachte das Kunststück fertig, über die Unterdrückung der Religionsfreiheit im großen Nachbarland zu sprechen, ohne es direkt zu nennen. Er sprach über Jesus und sagte: „Er weiß (...) und er leidet darunter, wie in unserer Zeit in so vielen Teilen der Welt Macht ausgeübt wird, die sich aus Unterdrückung und Gewalt speist, die ihren eigenen Raum zu vergrößern sucht und dabei den der anderen einengt, ihre Herrschaft aufzwingt, die Grundfreiheiten einschränkt und die Schwachen unterdrückt. Es gibt also – so sagt Jesus – Konflikte, Unterdrückung und Feindschaft. Angesichts all dessen müssen wir uns die wichtige Frage stellen: Was sollen wir tun, wenn wir uns in einer solchen Situation befinden?“ Die Antwort steht, wie alle Ansprachen des Papstes in diesen Tagen, unter dem Gebot des Friedens. Jesus fordere die Christen auf, nicht idealistisch „von einer Welt zu träumen, die von Geschwisterlichkeit beseelt ist, sondern uns zu engagieren und bei uns selbst anzufangen, die universale Geschwisterlichkeit konkret und mutig zu leben, im Guten zu verharren, auch wenn uns Böses widerfährt, die Spirale der Rache zu durchbrechen, die Gewalt zu entwaffnen.“
Längst ist die zumeist aus Ostasien stammende christliche Minderheit in Bahrain und den anderen Golfstaaten eine unverzichtbare Säule des Wohlstands geworden. Dazu zählen Millionen von oft rechtlosen Gastarbeitern im Tourismus, in der Öl- und Bauindustrie, inzwischen aber auch viele Fachkräfte in der Finanz- und Digitalwirtschaft. Hinzu kommt eine sich verändernde Großwetterlage im Umfeld. In Saudi-Arabien sprechen Beobachter von einem Modernisierungs- und Liberalisierungsschub. Und die jahrzehntelang auf die gesamte Region ausstrahlende iranisch-schiitische Bewegung wirkt angesichts des Legitimitätsverlusts des Mullah-Regimes in Teheran/Iran weniger bedrohlich als noch vor wenigen Jahren. Auch das eröffnet neue Spielräume. Diese Entwicklungen haben der Papst und seine Redenschreiber im Vatikan offenbar dazu bewegt, in Bahrain neue Grenzen des Sagbaren auszuloten. Unter anderem forderte der Papst in seinen insgesamt sieben Ansprachen ein Lebensrecht auch für zum Tode Verurteilte, die Gleichberechtigung der Frauen in der Gesellschaft, Bildung für Mädchen, Arbeitnehmerrechte für alle, das Ende von Diskriminierungen Andersgläubiger, freie Religionsausübung und ein Ende der konfessionell motivierten Gewalt.
Wichtige Verbündete hat der Papst in dem gemäßigten Schiitenführer Ayatollah Al-Sistani im Irak und vor allem in dem sunnitischen Großimam Ahmed al-Tayyeb von der Al-Azhar-Universität in Kairo gefunden. Mit letzterem verbindet den Papst nach zahlreichen Begegnungen und gemeinsam unterzeichneten Toleranz- und Dialogerklärungen eine besondere Freundschaft, die auch bei ihren gemeinsamen Auftritten in Bahrain zum Tragen kam. Al-Tayyeb hat dort öffentlich zum Dialog von Schiiten und Sunniten und zur Überwindung ihrer gewaltsamen Konflikte aufgerufen – auch das ein Indiz dafür, dass die päpstliche Friedensbotschaft über die katholische Kirche hinaus Wirkung entfaltet.
Vom westlichen Feminismus und vom Genderismus ist die neue Koalition gemäßigter Muslime und Katholiken weit entfernt. Aber noch schärfer ist ihr Gegensatz zu den Gesellschaftsmodellen, die Fundamentalisten in Saudi-Arabien, im Iran, im „Kalifat“ des IS oder in Afghanistan durchzusetzen versuchten oder noch immer versuchen.
Franziskus hat sich bei seinem dritten Besuch in der Golfregion als Prophet eines Glaubens in Szene gesetzt, der sich an den Geboten Gottes und gleichzeitig an der Freiheit der Person und der wechselseitigen Toleranz und des Pluralismus orientiert. An den ersten beiden Tagen in Bahrain tat er dies in sorgfältig inszenierten interreligiösen Begegnungen, danach in mutmachenden Ansprachen an die christliche Minderheit.
Im Palast des Königs und in seinem kleinen Königreich erregte der Gast aus dem Vatikan durch seine Bescheidenheit Aufsehen. Mehr noch als das Vorfahren im unvermeidlichen Fiat 500 waren es die Auftritte im Rollstuhl, das sichtbare Leiden beim Gehen und die kleinen, menschenfreundlichen Gesten, mit denen der 85-Jährige viele Herzen gewann. Menschen auf der Straße äußerten ebenso wie Gäste in TV-Sondersendungen Bewunderung und Respekt für „Baba Francis“.
Ob seine Botschaft bleibende Wirkung entfaltet, ist ungewiss. Doch als im Umfeld seines Auftritts in der einzigen katholischen Schule des Landes am Samstagabend eine kleine Gruppe von Angehörigen von zum Tode verurteilten Häftlingen mit den Parolen „Toleranz“ und „Dialog“ für eine Begnadigung demonstrierte, nahm die Polizei sie fest – und ließ sie nach einer kurzen Ermahnung wieder frei. «
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