Mira Stare ist Bibelwissenschaftlerin an der Kath.-Theol. Fakultät Innsbruck und Pfarrkuratorin in der Diözese Innsbruck.
Unerwartet klar hat sich Papst Leo XIV. in einem langen Interview zu zentralen Themen in Kirche und Politik geäußert. Seine vergangene Woche veröffentlichten Aussagen sorgen weltweit für Schlagzeilen – und im deutschsprachigen Raum für Enttäuschung bei sogenannten Reformkatholiken. Unklar ist, wie viel Widerstand es innerkirchlich gegen diesen Kurs geben wird.
In zwei langen Gesprächen mit der US-amerikanischen Journalistin Elise Ann Allen vom Portal „Crux“ hat der Papst schlaglichtartig eine Art Programm für sein Pontifikat skizziert und damit monatelange Spekulationen über seinen kirchenpolitischen Kurs beendet. Die Frage, ob die Phase der Reformen unter ihm weitergehen wird, beantwortet er faktisch so: Statt die von Papst Franziskus begonnenen Aufbrüche fortzuführen, will er „vorerst“ nichts in der Dogmatik und Morallehre der Kirche ändern. Stattdessen will er die Polarisierungen in der Kirche durch vertiefte Debatten heilen und überwinden.
Die auch im Vatikan vielgelesene römische Zeitung „Il Messaggero“ erwartet jedenfalls erhebliche neue Spannungen und titelt: „Für Leo XIV. wird es ein heißer Herbst. Die Waffenruhe zwischen Konservativen und Progressiven ist vorbei.“
Auch die offizielle Vatikanzeitung „Osservatore Romano“ widmet dem Interview ihre Titelgeschichte, allerdings unter der konzilianten Überschrift: „Aus den Polarisierungen herausfinden und Brücken bauen.“
Leo XIV. will nicht als ein Papst neuer dogmatischer Festlegungen und Denkverbote wahrgenommen werden. Gleich an mehreren Stellen des Gesprächs betont er, dass seine Einschätzungen „derzeit“ oder „auf absehbare Zeit“ gelten. Und er macht deutlich, dass es ihm keinesfalls darum geht, innerkirchliche Debatten abzuwürgen. Doch er will, dass diese Debatten ohne den unter seinem Vorgänger Franziskus angestauten Erwartungsdruck auf baldige, weitere Reformen geführt werden.
Typisch sind dabei seine Gedanken zur „Frauenfrage“ in der Kirche, wenn er sagt: „Ich denke, dass dies auch weiterhin ein Thema bleiben wird. (Allerdings) habe ich derzeit nicht die Absicht, die Lehre der Kirche zu diesem Thema zu ändern. (...) Ich bin auf jeden Fall bereit, den Menschen weiterhin zuzuhören. Es gibt diese Studiengruppen. Das Dikasterium für die Glaubenslehre, das für einige dieser Fragen zuständig ist, untersucht weiterhin den theologischen Hintergrund und die Geschichte einiger dieser Fragen, damit werden wir weitermachen und sehen, was dabei herauskommt.“
Schärfer positioniert sich der Papst im Streit um die Sexuallehre der Kirche. Zwar greift er den einladenden Gestus seines Vorgängers auf, alle Menschen unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung oder Identität in der Kirche willkommen zu heißen.
Als erster Papst benutzt er die Formel „LGBTQ“, um die sexuellen Minderheiten zu beschreiben. Doch im selben Atemzug bekennt er sich klar zur „traditionellen Familie“ als Fundament der Gesellschaft. Und er lehnt die in Deutschland und einigen weiteren Ländern eingeführten kirchlichen Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare und „Menschen, die sich lieben“, explizit ab.
Die Ansagen aus Rom erfolgen unmittelbar vor der Saison der „Herbstvollversammlungen“ der nationalen Bischofskonferenzen in aller Welt. Als eine der ersten tagt in der kommenden Woche die Deutsche Bischofskonferenz in Fulda, die US-Bischöfe kommen meist erst im November in Baltimore zusammen. Beide Versammlungen werden Aufschluss darüber geben, wie die Ansagen des Papstes in den Ortskirchen ankommen.
Mira Stare ist Bibelwissenschaftlerin an der Kath.-Theol. Fakultät Innsbruck und Pfarrkuratorin in der Diözese Innsbruck.
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