Wort zum Sonntag
Herr Politi, Sie reflektieren die Ereignisse im Vatikan seit Paul VI.,
haben also fünf Pontifikate beobachtet. Allein über Papst Franziskus haben Sie vier Bücher geschrieben. Wie schätzen Sie die Zukunft ein? Welchen Papst braucht die Kirche jetzt?
Marco Politi: Das ist ein großes Fragezeichen. Die ultrakonservativen Gruppen in der Kirche sind stark, etwa 30 Prozent der Bischöfe gehören dazu. Die Reformer sind ein bisschen weniger, etwa 25 Prozent. Und dann gibt es eine breite Mitte, die schwankt. Deswegen wird es auch schwierig, einen Nachfolger für Franziskus zu finden. Denn man sucht wohl eine Figur der Mitte, also nicht einen „Franziskus II.“. Dafür gäbe es keine Mehrheit. Franziskus selbst hat halb im Scherz auf seiner Reise in die Mongolei von einem „Johannes XXIV.“ gesprochen. Das ist so eine Idealfigur. Man sucht eine Seelsorger-Persönlichkeit, die versuchen muss, die verschiedenen Teile der Kirche wieder zusammenzubringen, die einen vorsichtigen Reformkurs fährt und auch das Kirchenrecht anpasst. Denn man sieht, dass die Struktur der Kirche, die absolutistische Monarchie des Tridentinischen Konzils, nicht mehr funktioniert.
Was die Nachfolge von Franziskus betrifft, bleibt es also spannend ...
Politi: Ich würde sagen, es ist für die Kirche dramatisch spannend, denn die Richtungen sind so auseinandergegangen, dass es schwierig ist, sich auf einen Namen der Mitte zu einigen, auf eine Persönlichkeit, die Charisma hat. In der modernen Gesellschaft muss eine Führungspersönlichkeit Charisma haben, also Begeisterungsfähigkeit und Ausstrahlung. Deswegen muss man einen Papst finden, der so ist wie Johannes Paul II., Paul VI., Johannes XXIII. oder Franziskus. Nicht wie Benedikt XVI. zum Beispiel, der ein Intellektueller war, ein großer Theologe, der es aber nie geschafft hat, eine richtige Beziehung zu breiten Teilen der Gesellschaft und des Kirchenvolkes aufzubauen. Man muss eine Beziehung zur Gesellschaft haben, das ist sehr wichtig. Deswegen haben mir einige Kardinäle privat gesagt: Mehr denn je wird man den Papst erst im Konklave finden. Also im letzten Moment, wenn man eingeschlossen ist. Denn bis jetzt hat sich keine Figur herauskristallisiert, über die man sagen könnte, ja, das ist wirklich ein „Frontrunner“, wie es die Amerikaner nennen. Also einer, der schon jetzt in den vordersten Reihen läuft. Nach dem Tod Johannes Pauls II. konnte man zum Beispiel sagen: Wir wissen zwar nicht, ob Ratzinger gewählt wird oder nicht, aber Ratzinger ist eine Figur, an die man denken muss im nächsten Konklave. So einen Namen haben wir jetzt nicht. Wer auch immer es wird, muss eine Beziehung zu vielen Teilen der katholischen Kirche aufbauen können.
Und das ist schwierig.
Politi: Ja, das ist das Schwierige. Ein Name wäre zum Beispiel Kardinalstaatssekretär Parolin. Das ist eine sensible Persönlichkeit, die die Kurie gut kennt, offen, moderat, reformorientiert, die aber die verschiedenen Teile wieder zusammenbringen könnte. Es gibt verschiedene Namen von Persönlichkeiten, die etwas zu sagen haben. Kardinal Zuppi zum Beispiel, der Vorsitzende der Italienischen Bischofskonferenz, der auch auf Friedensmission in der Ukraine, in Russland, in Amerika und in Peking war. Oder Kardinal Hollerich, der Generalrelator bei der Weltsynode war. Das ist eine Persönlichkeit, die die europäische Krise der Kirche sehr gut kennt, Hollerich lebt ja in Luxemburg. Er kennt die Problematik der Jugend, die Sehnsucht nach einer neuen Form des Glaubens. Oder Kardinal Pizzaballa, der Patriarch von Jerusalem, oder Kardinal Aveline von Marseille, oder Kardinal Tolentino, Präfekt des Dikasteriums für die Kultur und die Bildung. Man spricht auch von Kardinal Omella von Barcelona. Aber wie gesagt, es hat sich kein Name herauskristallisiert, von dem man sagen kann, das ist ein Kardinal, hinter dem eine starke Gruppe steht. Im Gegenteil kann man sagen, wahrscheinlich ist die Zeit für einen afrikanischen Papst noch nicht gekommen. Aber Kardinal Ambongo Besungu, der Präsident der Bischofskonferenzen in Afrika, wird ein „Kingmaker“ sein, also ganz bestimmt einen großen Einfluss im Konklave haben.
Das erinnert an den preisgekrönten Film „Konklave“ …
Politi: Ja, es könnte aber auch anders sein – dass die Reform der Kirche nicht so sehr von einem Papst abhängt, sondern vom Kirchenvolk in den verschiedenen Teilen der Welt. Auch Papst Franziskus hat immer wieder verstehen lassen, dass er für Dezentralisierung ist und dass nicht alles in Rom entschieden werden muss. Gleichzeitig hat er von Synodalität gesprochen, also von einer Gemeinschaft, in der die verschiedenen Teile gemeinsam regieren. Der Papst hat sich die Kirche nicht wie eine Pyramide vorgestellt, wo alles an der Spitze entschieden wird, und auch nicht wie einen Ball, wo keiner der Punkte ein besonderes Profil hat, sondern wie ein Prisma. In einem Prisma hat jede Seite etwas zu sagen, so wie in einem Diamanten. Aber es müssen natürlich alle Seiten zusammenhalten.
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