Wort zum Sonntag
Jeder Krieg hinterlässt die Welt schlechter, als er sie vorgefunden hat. Krieg ist ein Versagen der Politik und der Menschheit“ heißt es in der Enzyklika Fratelli tutti, und mit diesen Worten reagierte Papst Franziskus auf den Angriff Russlands gegen die Ukraine. Krieg darf kein Mittel der Politik mehr sein. Seit 1928 (Briand-Kellogg-Pakt) gilt der Krieg völkerrechtlich als geächtet. Auch die Charta der Vereinten Nationen verbietet jeden Angriffskrieg. Papst Franziskus distanzierte sich in Fratelli tutti von der klassischen Lehre vom gerechten Krieg, weil damit viel zu oft „kriegerische Handlungen unzulässigerweise“ gerechtfertigt wurden. Wenn Russland als Grund für die Invasion der Ukraine seine Verteidigung nennt, ist das nur ein Beispiel für einen solchen Missbrauch. Die Verteidigung der Ukraine zählt hingegen auch für die Vereinten Nationen zu jenen Fällen, in denen militärischer Widerstand erlaubt ist.
Selbst Mahatma Gandhi, der Prophet der Gewaltfreiheit, erklärte einst den militärischen Widerstand Polens gegen die Übermacht Hitlers als „fast gewaltfrei“. Es ist gut, dass der Westen jetzt nicht selbst eingreift und so die Eskalation zu einem Weltkrieg verhindert. Sanktionen – und zwar solche, die auch von uns Opfer verlangen – müssen aber durchgesetzt werden, um deutlich zu machen, dass Krieg kein Mittel der Politik sein darf.
Die Weltreligionen haben in den letzten Jahren verstärkt die Bedeutung der Gewaltfreiheit betont und zur universalen Geschwisterlichkeit aufgerufen. Die Enzyklika Fratelli tutti ist dafür ein gutes Beispiel. Sie baut auf das „Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt“ auf, das Papst Franziskus 2019 gemeinsam mit dem Großimam von Al-Azhar Ahmad Al-Tayyeb unterzeichnete.
Zeigt sich diese religiöse Abkehr vom Krieg auch in der Ukraine?
Das „Ukrainische Konzil der Kirchen und Religiösen Organisationen“ verurteilte – wie mir die Innsbrucker Orthodoxie-Expertin Kristina Stoeckl mitteilte – noch am Tag des Einmarschs den russischen Angriff und rief zu Frieden und Loyalität mit der ukrainischen Regierung auf. Das Erstaunliche an diesem gemeinsamen Appell ist, dass sich ihm nicht nur Evangelikale, Protestanten, Katholiken, Juden und Muslime anschlossen, sondern auch alle in der Ukraine existierenden Vertreter der Orthodoxie: die Orthodoxe Kirche der Ukraine, die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche und die Ukrainische Orthodoxe Kirche. Obwohl letztere Kirche dem Moskauer Patriarchen untersteht, hat sie sich diesem Friedensappell angeschlossen.
Religionen können Frieden und Geschwisterlichkeit stärken, wenn sie sich ganz auf Gott einlassen, der für die Absage an die Gewalt steht.
In Fratelli tutti betont Papst Franziskus, dass es um den „Blick Gottes“ geht, der Frieden möglich macht und uns verstehen lässt, „dass Gewalt keinerlei Grundlage in den fundamentalen religiösen Überzeugungen“ hat. Er erinnert die Christen an Jesus, der nie „Gewalt oder Intoleranz“ schürte. Religionen versagen dann in ihrer Friedensaufgabe, wenn sie sich nicht vom „Gottesbewusstsein“ – wie das Martin Buber am Beispiel der jüdischen Propheten erkannte – leiten lassen, sondern sich irdischer Macht verschreiben. Vielleicht erklärt sich dadurch auch, dass der Moskauer Patriarch das Wort Krieg nicht in den Mund nimmt. Die Versuchung ist groß, Putins religiös motivierte „Heimholung“ Kiews – der Wiege der russischen Orthodoxie – zu unterstützen. Buber würde diese Haltung als die Vorherrschaft von „Staatsbewusstsein“ kritisieren.
Am Krieg gegen die Ukraine ist auch der Westen nicht unschuldig, denn wo immer in den letzten Jahren der Westen zum Mittel des Kriegs griff, lieferte er Gründe, die heute auch der russischen Führung zur Rechtfertigung dienen. Anstelle von Krieg muss heute „prophetische Gewaltfreiheit“ treten, meinte vor wenigen Tagen Papst Franziskus zu Universitätsstudenten aus Nord- und Südamerika. «
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