Wort zum Sonntag
Gemeinsam mit ihren Projektpartnern vor Ort helfen sie, Not zu lindern. Im Slum Tangra, einem der unzähligen Armenvierteln der indischen Metropole Kalkutta, lauern so manche Gefahren. Besonders nachts. Sultana hält schützend die Hände um ihr Baby. Die junge Mutter macht sich große Sorgen und findet keine Ruhe. Sie lebt hier mit ihrer Familie in einer barackenähnlichen, nicht gemauerten Hütte aus Holz direkt an einem Abwasserkanal. Jederzeit kann die instabile Behausung ins Wasser abrutschen. Dazu kommt, dass durch heftige Regenfälle während der Monsunzeit das verschmutzte Kanalwasser blitzartig ansteigt und in die Hütten geschwemmt wird – mit all den Fäkalien der umliegenden Toiletten, auch einer Schlachtfabrik. Der Gestank ist dann kaum auszuhalten. Wegen des Abwasserkanals sind auch Ratten und Schlangen nicht weit. Die Tiere kommen vor allem in der Nacht immer wieder in die Hütte und sind eine große Bedrohung für die Kinder.
Sultana lebt hier auf engstem Raum mit ihrer zwei Monate alten Tochter Jannat, ihrem Mann, ihrer Mutter und mit ihren fünf Geschwistern. Intimsphäre ist nicht gegeben. In der Hütte ist Pappe ausgelegt, damit sie nicht auf dem blanken, nassen Fußboden laufen müssen. Die hygienischen Bedingungen sind katastrophal. Toiletten sind meist nur ein Gestell aus Bambusstöcken mit Planen darum gespannt, darin liegen ein paar Bretter um ein Loch in den Boden. Es fehlt an fließendem Wasser. Strom ist teuer und es gibt ihn nur stundenweise. Gekocht wird mit Kohle auf kleinen Öfen meistens direkt vor der Haustüre. Die Menschen hier kämpfen ums Überleben. Viele Kinder leiden an Unterernährung. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Um Geld zu verdienen, sammelt man z. B. Plastik, das in verschiedene Kategorien getrennt und an Unternehmen weiterverkauft wird. Frauen schuften oft als Haushaltshilfen. Manche Männer sind als Rikscha-Fahrer unterwegs oder arbeiten in den provisorischen Fabriken der Slums.
Was die Wohnsituation betrifft, so gibt es einen Lichtblick für Sultana und ihre Familie. „Sie haben durch die Unterstützung der Missio-Projektpartner, den Salesianern Don Boscos, Aussicht auf eine neue stabile, sichere Behausung mit festem Fundament, einer Tür und einem Dach über dem Kopf. Künftig brauchen sie sich keine Sorgen mehr machen, dass die Hütte abstürzt und vom Abwasser geflutet wird“, sagt Tabea Planz. Sie ist bei Missio Österreich für Kinder und Jugendliche verantwortlich (Head of Young Missio).
Im Mai war sie mit einem Missio-Team bei einen Lokalaugenschein in Kalkutta. „Wir haben viele Familien besucht. Manche haben schon solch ein neues Haus bekommen. Das Schöne ist, dass sie nicht teuer sind: Ein neues Dach kostet 46 Euro, eine Stahltür 85 Euro“, so die Missio-Mitarbeiterin. Der Salesianer Father Jijo weiß, wie wichtig das ist, denn so kommen die Menschen „raus aus den Elendshütten in ein einfaches, aber festes Heim, das sie schützt. Das gibt ihnen auch ihre Würde zurück.“ Das hygienische Problem lösen die Missio-Projektpartner mit Gemeinschaftsbädern samt Toiletten, die sich mehrere Familien teilen, sagt Tabea Planz.
Laut Schätzungen leben in Kalkutta, der Hauptstadt des Bundesstaates Westbengalen, 15 Millionen Menschen, ein Drittel davon in den von Armut geprägten Slums. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen, so Tabea Planz, „denn die meisten Slumbewohner:innen sind nicht registriert und existieren für den Staat nicht.“ Abhilfe schafft hier ein weiterer Projektpartner von Missio Österreich – die örtliche Caritas Seva Kendra. „Sie sorgen dafür, dass die Menschen eine Geburtsurkunde bekommen, damit die Kinder aus den Slums geholt werden und die Möglichkeit haben, zur Schule zu gehen, bzw. die, die schon in einer Schule sind, bekommen eine Art Nachmittagsunterricht, damit sie mit dem Lernpensum mithalten können. Denn die Erfahrung, die wir von Missio Österreich weltweit machen, ist: Wer eine Schule öffnet, der sorgt dafür, dass die Kinder vor Kriminalität geschützt werden. Bildung ist der Schlüssel für eine höhere Lebensqualität“, sagt die Missio-Mitarbeiterin.
Neben der Schulbildung für Kinder schafft Seva Kendra auch Ausbildungslehrgänge vor allem für Frauen und junge Mädchen, etwa zu Näherinnen und Bäckerinnen. Zusätzlich werden u. a. Computerkurse und Hygieneworkshops angeboten. Wie den Salesianern Don Boscos, so ist auch für Rishma Patra, Sozialarbeiterin bei Seva Kendra, wichtig, den Menschen vor Ort dabei zu helfen, sich ein Leben in Würde aufzubauen. Sozialarbeit bedeutet für die Katholikin, „etwas zu schaffen, das Bestand hat und das Menschen dabei hilft, sich selbst zu helfen.“ Unterstützung wird dabei allen ermöglicht, egal welchen Glauben sie haben – ob Hindus, Muslime oder Christen. „Die Hilfe unserer Projektpartner ist bedingungslos.“
Rishma Patra stammt aus einer wohlhabenden Familie in Kalkutta. Sie studierte Soziale Arbeit und hätte wohl überall gute Chancen, einen tollen Job zu bekommen, erzählt Tabea Planz. „Aber sie hatte Sehnsucht, in den Slums der Stadt tätig zu sein. Als wir mit ihr unterwegs waren, spürten wir, dass sie sehr willkommen und angesehen ist bei den Menschen. Dabei ist die Arbeit in den Slums gar nicht einfach, denn die Männer haben nicht unbedingt viel Interesse daran, dass die Frauen gestärkt werden und ihnen Bildung ermöglicht wird. Rishma versucht auch zu intervenieren, wenn es um Zwangsehen geht. Aber mit ihrem Feingefühl, ihrer herzlichen und wertschätzenden Art ist sie sehr beliebt. In den Slums kamen Väter auf sie zu und haben ihr die Babys auf den Arm gegeben und ihr erzählt, was ihnen fehlt, was sie noch brauchen“, berichtet Tabea Planz begeistert. Für ihre großartige Arbeit wird Rishma Patra im November in Wien mit dem Austria.On.Mission-Award „Emil“ von Missio Österreich ausgezeichnet. „Mit diesem Award holen wir jedes Jahr Menschen in den Mittelpunkt, die in der Gesellschaft sonst nicht gesehen werden, die aber die Welt positiv verändern. Sie sind für uns große Vorbilder.“
Die katholische Kirche sammelt jedes Jahr am Weltmissions-Sonntag weltweit Spenden für die ärmsten Diözesen in den Ländern des globalen Südens. Katholische Pfarren auch in Österreich begehen den Tag traditionell am vorletzten Sonntag im Oktober (heuer am 22. 10.), dem Monat der Weltmission. Die Päpstlichen Missionswerke Österreich (Missio) begehen ihn im Zeichen der Solidarität mit den Ärmsten der Armen in Indien. Unterstützt werden u. a. Slumbewohner:innen in Kalkutta (siehe Reportage links) und Teepflückerinnen im Himalayagebirge.
Infos: www.missio.at
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