Wort zum Sonntag
Der Prophet Amos stammte aus dem – heute natürlich nicht mehr bestehenden – Dorf Tekoa in der Nähe von Bethlehem, liest man in der Bibel. Er wurde einst nicht müde, Gerechtigkeit zu predigen. Vor einigen Jahrzehnten haben jüdische Siedler in dieser Gegend – auf palästinensischem Gebiet – zwei Siedlungen aus dem Boden gestampft und sie nach dem Propheten selbst und seinem Heimatort benannt. Auf seine Botschaft scheinen sie aber keinen Wert zu legen.
Das erfahren die Bewohner:innen der benachbarten alten palästinensischen Dörfer Tuqu und Kisan am eigenen Leib, erzählt Andreas Paul: Die Kleinbauern werden bedroht, wenn sie ihre Olivenhaine betreten wollen oder mit den Schafen unterwegs sind. Kürzlich wurde auf ihrem Grund in einer Nacht-und-Nebel-Aktion eine israelische Flagge aufgepflanzt. Dort soll und wird eine weitere – völkerrechtlich illegale – jüdische Siedlung entstehen.
Die Bedrängnis der Dörfer war der Grund, warum das fünfköpfige Team des ökumenischen Begleitprogramms EAPPI, in dem Andreas Paul tätig war, Tuqu und Kisan besucht haben. Ein Schuldirektor hat von seinen schlechten Erfahrungen mit den Siedlern erzählt und ein Bauer die völlig ohne rechtliche Grundlage gezogenen Grenzen gezeigt, die die palästinensischen Dorfbewohner mit ihren Herden nicht überschreiten dürfen.
„Wir können – in Fällen wie diesen – den Leuten zuhören, die Übergriffe dokumentieren und an die dafür eingerichtete Stelle der UNO weitergeben“, erklärt Andreas Paul die Aufgabe des EAPPI- Einsatzes, für den er in Bethlehem stationiert war.
Beinahe täglich ist das dortige Team mit einem einheimischen Chauffeur ausgefahren, um mit den von der Gewalt der jüdischen Siedler oder des israelischen Militärs betroffenen Menschen in Kontakt zu treten. Die Arbeit ist den EAPPI-Leuten während der ganzen drei Monate nicht ausgegangen.
Darüber hinaus haben sie auch Hilfseinrichtungen vor Ort besucht, um ihnen Solidarität zu zeigen. So war Andreas Paul mehrmals in der Arche-Gemeinschaft zu Gast, die mit behinderten Menschen Souvenirs für Pilger:innen anfertigt. Der Pilgertourismus ist aber seit dem 7. Oktober 2023 zusammengebrochen und das wird sich auch so schnell nicht ändern.
Wie die Arche-Gemeinschaft stehen viele Hilfsorganisationen unter enormem wirtschaftlichem Druck. „Der 7. Oktober – der Tag des Überfalls der Hamas auf Israel mit über tausend Toten und den noch über hundert Geiseln hat alles verändert“, betont Paul. Die gesamte schreckliche Situation – Krieg in Gaza, Leiden der Zivilbevölkerung und Kampf mit der Hisbollah – hat viele Aspekte, aber mit Blick auf die Erfahrungen des EAPPI-Teams in Bethlehem ist einer unzweifelhaft: „Im Schatten des Gazakriegs werden Palästinenser in der Westbank ihrer Lebensgrundlagen beraubt. Es ereignet sich ein massiver Landraub durch illegale Siedlungen.“
Der 7. Oktober hatte auch Auswirkungen auf den Einsatz der drei EAPPI-Gruppen, die sich derzeit im Land befinden. Bis zum Corona-Lockdown haben die EAPPI-Freiwilligen des Weltkirchenrats Begleitdienste übernommen, wie ihre Bezeichnung auch sagt: sie haben Bauern zu den Feldern begleitet oder Kinder zur Schule. Dieser Dienst ist aufgrund der steigenden Gewalt der jüdischen Siedler, die prominent in der Regierung vertreten sind, so gefährlich geworden, dass er Freiwilligen unzumutbar ist. Daher hat sich der Aufgabenbereich der EAPPI-Teams gewandelt und besteht nun im Hingehen, Zeit nehmen, Zuhören und Dokumentieren.
Für Andreas Paul gehörten auch Besuche von Gottesdiensten und bei christlichen Gemeinschaften zum Programm. Die einheimischen Christ:innen zu stärken ist wichtiger denn je: „In den drei Monaten, in denen ich in Bethlehem gelebt habe, sind vierzig christliche Familien, rund zweihundert Menschen ausgewandert.“
Natürlich hat auch Andreas Paul kein Patentrezept, was Frieden zwischen Israel und Palästina bringen könnte, vor allem da der Krieg in Gaza noch tobt. Er hat für sich selbst aber einige Markierungspunkte definiert: „Mit einem einseitigen Pro Israel oder Pro Palästina ist niemandem geholfen. Es braucht ein neues Konzept, das von Juden und Palästinensern auf Augenhöhe verhandelt wird, und das beiden Seiten eine Lebensgrundlage und Sicherheit zugesteht.“ Was er erhofft, findet er in Psalm 85: „Gerechtigkeit und Friede küssen sich.“
Die Monate vor Ort haben Andreas Paul desillusioniert, was unter den derzeitigen Voraussetzungen Wege zu einem Frieden sein könnten: „Es braucht viel mehr Zuhören. Juden und Palästinenser müssten über alle Grenzen hinweg in Kontakt bleiben.“ Und er, der jüdische Wurzeln und entfernte Verwandte ganz in der Nähe des Gazastreifens hat, wiederholt: „Einseitige Unterstützung hilft nicht. Es braucht beides: einen Ort, wo Juden in Sicherheit leben können und gleichzeitig einen Ort, von dem Palästinenser nicht verdrängt und vernichtet werden.“ Und er fährt fort: „Es braucht Empathie für Menschen auf beiden Seiten bei klarer Benennung der Menschenrechte. Das im Hirn zusammenzubringen ist eine massive Herausforderung.“
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