Wort zum Sonntag
Schach. So steht es am Stundenplan. Dieses Land gibt es tatsächlich, in dem Schach Pflichtfach in der Schule ist. Männer dieses Landes sitzen in Gassen und Parks an den Tischen – und spielen. Mitten am Tag. Viele haben ja keine Arbeit. Das Land: Armenien. Im Südkaukasus gelegen, eingepfercht zwischen seinen islamischen Nachbarn Türkei im Westen, Iran im Süden und Aserbeidschan und Georgien im Norden, durchlebten die Armenier eine wechsel- und leidvolle Geschichte. Der Genozid in Westarmenien in der Türkei von 1915 war der traurige Tiefpunkt. Ein Ereignis, das wie ein Trauma noch heute tief in der Seele der Armenier wühlt. Das Genozid-Denkmal in der Hauptstadt Eriwan erinnert an die Massaker und Todesmärsche, bei denen je nach Schätzung zwischen 300.000 und 1,5 Millionen Menschen zu Tode kamen – jedoch auch an die Hilfe, die viele dennoch gefunden haben. Franz Werfel hat dem Geschehen im Roman „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ ein literarisches Denkmal gesetzt. Fast jeder Armenier kennt seinen Namen.
Zwei Drittel der Armenier leben heute nicht im eigenen Land, sie finden sich verstreut in der ganzen Welt. Für viele der im Land verbliebenen heute knapp drei Millionen Einwohner sind die Auslands-Armenier eine Stütze. Das Land liegt wirtschaftlich darnieder. Die Löhne – falls man überhaupt Arbeit hat – sind extrem niedrig. Von der staatlichen Pension könnte man nicht leben.
Als Armenien nach dem Zerfall der Sowjetunion wieder selbstständig wurde, begann sich die neue Führung auf Kosten der Bevölkerung zu bereichern. Es gab keine Weiterentwicklung, im Gegenteil. Viele junge Menschen verließen mangels Zukunftsaussichten das Land. Als vor zehn Jahren der Aufruhr gewagt wurde, gab es Tote. Doch als vor knapp zwei Monaten, am 8. Mai 2018, nach beeindruckenden friedlichen Protesten Nikol Paschinjan zum Ministerpräsidenten gewählt worden war, kam mit dem Jubel der Bevölkerung auch die Hoffnung in das Land zurück. „Ich bin optimistisch“, sagt Seyan Martyrosian von einer Menschenrechtsorganisation am Tag der Wende: „Heute haben wir Armenien um 180 Grad gedreht.“
Viele wollen wieder heim. Reiseleiterin Arpine Geghamyan ist 27. Sie konnte studieren, obwohl ihr Vater lange arbeitslos war. Diesen Sommer, so war es geplant, sollte sie wie so viele ihres Alters das Land verlassen und ihrem Verlobten nach Moskau folgen, weil es in Armenien für ihn keine Zukunft gäbe. Jetzt haben sie sich entschieden: Sie bleibt – und er kehrt zurück. Er wird es mit einer kleinen Firma versuchen. So denken viele jetzt nach der „samtenen Revolution“, bei der tagelang das Land stillstand – um dann aufzublühen. Ein Land, das jetzt voll guter Hoffnung ist.
Es war am 7. Dezember 1988, als im Norden Armeniens die Erde bebte. 25.000 Menschen starben, eine halbe Million wurde obdachlos. 30 Jahre ist es her, und noch immer leben rund 4000 Familien in damals aufgestellten Containern. Fabriksruinen rosten vor sich hin, als wäre das Beben erst vor Kurzem gewesen. Die Regierung hat sich um die Leute kaum gekümmert. In Gjumri, der zweitgrößten Stadt des Landes, wurde damals von Österreich ein Kinderspital errichtet. Hans Döller, der das Projekt all die Jahre betreut hat, ist mit Freunden jetzt hierher gekommen. Es war ein Vorhaben, bei dem man einen langen Atem und viel Geduld brauchte. In Gjumri steht auch „Emils kleine Sonne“ – eine von der Vorarlberger Caritas aufgebaute Einrichtung für Kinder mit Behinderungen. Es sind anerkannte Einrichtungen. Beispielhaft. Sie zeigen, wie ein Land funktionieren kann ohne Schmiergeld und Korruption. Ein Land versucht es mit einer neuen sozialen Gerechtigkeit.
Die armenisch-apostolische Kirche führt ihren Ursprung auf die Apostel Thaddäus und Bartholomäus zurück. Schon im Jahr 301 – noch vor Kaiser Konstantin im Römischen Reich – nahm Armenien den christlichen Glauben an. Sie gilt als älteste Staatskirche der Welt. Verknüpft damit war die Schaffung einer eigenen Schrift mit 38 Buchstaben durch den Mönch Mesrod Maschtots. Von Armenien aus wurden auch Georgien und Albanien missioniert. Wegen der Lage an der Seidenstraße gab es Verbindungen weit in den Osten hinein.
An der Spitze der armenischen Kirche steht der von den Bischöfen gewählte „Katholikos“. In 70 Jahren Kommunismus war die Religionsausübung stark behindert. So gab es keinen Religionsunterricht. Viele der historisch bedeutsamen Klöster im Land sind nur mehr von wenigen Mönchen bewohnt und betreut, oder sie werden als Museen instand gehalten.
Die armenische Messfeier wird bis heute in der altarmenischen Sprache gefeiert. Es wird viel gesungen, die Leute nehmen meist nur an einem Teil der Messfeier teil.
Der Klerus lebt vorwiegend von den Spenden für geleistete Segnungen und Sakramente. Geistliche können verheiratet sein oder zölibatär leben, Bischöfe sind jedoch unverheiratet. Manche werfen der Staatskirche eine zu große Nähe zum bisherigen Regime vor – dass sie sich zu wenig für die Nöte der Bevölkerung eingesetzt hätte. Doch gibt es auch geachtete Bischöfe, etwa in Gjumri, mit großer sozialer Aufgeschlossenheit.
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