Wort zum Sonntag
Kriege unter anderem in der Ukraine und im Gazastreifen: Was gibt uns Menschen trotz dieser Gegenwart Hoffnung?
Manfred Scheuer: Was ist das erste Wort unseres Lebens? Im Glauben ist uns zugesagt: Du bist gewollt, du bist beim Namen gerufen, du bist geliebt. Das ist die Voraussetzung dafür, dass wir uns auch auf die Abgründe des Lebens einlassen können.
Die Erfahrung, geliebt und gewollt zu sein, die Erfahrung der Freude und der Schönheit, die Erfahrung der Stille und des inneren Friedens – all das gibt uns Zuversicht. Wir können außerdem das, was uns in bestimmten Phasen unseres Lebens geschenkt ist, kultivieren, entwickeln und bewahren, zum Beispiel Dankbarkeit.
Also erfordert Zuversicht ein Nachdenken über sich selbst und das Leben?
Scheuer: Ja, wenn sie kein naiver Optimismus sein soll. Der Philosoph Walter Benjamin forderte, nicht ohne das Gedächtnis nach vorne zu schauen, oder genauer: nicht ohne die Heilung des Gedächtnisses. Christlich gesprochen sind Umkehr und Buße Voraussetzungen dafür, dass wir Zuversicht haben können. In der biblischen Botschaft sind der Gott der Schöpfung und der Gott der Vollendung derselbe. Da ist von Gottes Schöpfung die Rede, die „sehr gut“ war (Gen 1,31).
Das ist ebenso das Vorzeichen für die Vollendung. Die Auferstehung erschließt eine Neuschöpfung vor dem Hintergrund dessen, was in unserem Leben gewachsen ist.
Aber als zeitunterworfene Menschen kennen wir die Vergangenheit, nicht die Zukunft. Die Bibel bietet die Erfahrungen, die Menschen mit Gott gemacht haben. Der Blick in die Zukunft ist viel schwieriger.
Scheuer: Erinnern Sie sich an das Wort Jesu: Er ist der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, also der Vorväter. Aber er ist ein Gott der Lebenden, nicht der Toten (Mt 22,31–32). Von Gott zu sprechen beinhaltet die Überzeugung, dass er Tote lebendig macht. Bei Augustinus sind Hoffnung und Erinnerung verbunden. Die Zukunft braucht eine Herkunft, die Hoffnung ein Gedächtnis.
Wir Menschen sind aufgefordert, nach unseren Kräften an der Schöpfung mitzuwirken. Wie macht man das heute einerseits in der Gesellschaft, andererseits in der Kirche?
Scheuer: Zunächst sehe ich da kein Einerseits-Andererseits, da die Kirche nach dem Verständnis des II. Vatikanums Zeichen und Werkzeug der Vereinigung der Menschen mit Gott und untereinander ist. Wir verwirklichen unseren Schöpfungsauftrag, wenn wir die Erde kultivieren, wenn wir arbeiten, wenn wir gestalten.
Ich würde aber auch sagen: wenn wir etwas aushalten und erleiden. Denn auch das hat Auswirkungen. Wenn wir die Kirche mit Dietrich Bonhoeffer als Trägerin des versöhnenden, erlösenden und befreienden Wortes Gottes wahrnehmen, so ist unser Auftrag unter anderem die Befreiung aus Ängsten und Hoffnungslosigkeit. Viele Menschen empfinden das Leben als belastend.
Ignatius von Loyola empfiehlt bei der Betrachtung der Auferstehung, alles zu nutzen, was zu Heiterkeit, zur Freude, zu Beschwingtheit der Seele führt. Das kann die frische Luft sein, die Sonne, Essen und Trinken oder Wärme.
Sie haben einmal gesagt: In den Himmel kommt man nicht allein. Der Mensch muss sich – anders gewendet – stets auf andere Menschen verlassen können. Wir machen die Erfahrung, dass das nicht immer funktioniert.
Scheuer: Von Jean-Paul Sartre gibt es den Satz: Die Hölle, das sind die anderen. Ein Zeitgenosse Sartres, der Philosoph Gabriel Marcel formulierte: Das Paradies sind die anderen. Wir machen beide Erfahrungen, aber ich denke, gerade die Vereinsamung ist eine große Last. Freundschaft, Annahme, Liebe lassen uns dagegen die Himmel erahnen.
Als Parameter des Glücks werden heute Sicherheit und Geld genannt, weniger ist die Rede von Kreativität, Beziehung, Intimität oder Spiritualität. Letztlich kann ich mir das Glück oder den Himmel nicht selbst machen. Das ist ein Geschenk, das ist Gnade. Kommen wir in den Himmel, stellt sich die Frage: Wo haben wir die anderen gelassen? Das bedeutet auch: Ich darf die anderen nicht abschreiben, selbst wenn ich Grund zur Klage habe.
Oder zum Ärger ...
Scheuer: Klage ist gesünder als Ärger. Der Ärger hat etwas Giftiges, er ist nicht produktiv. Die Haltung der Bibel ist, die Korrektur, die „Vergeltung“ Gott zu überlassen.
Auch ein Bischof kann nicht alles allein machen. Bei den Reformen in der Diözese sind Sie auf die Mitarbeit vieler angewiesen. Wie werben Sie um das Mitgehen?
Scheuer: Die Veränderungen in der Gesellschaft führen dazu, dass Veränderung in der Kirche in jedem Fall stattfindet. Die Frage ist nur, was wir daraus machen. Immer wieder gibt es da die Erwartung, der Bischof soll ein Machtwort sprechen. Dem gegenüber suchen wir auf weltkirchlicher Ebene ja nach Synodalität, nach gemeinsamen Wegen. Es geht nur im Miteinander.
Dazu gehört auch der Dienst an der Einheit, manchmal im Sinne eines Vorangehens, ein anderes Mal mehr im Sinne der Begleitung, des Draufschauens, der Ermutigung, des Tröstens und auch der Korrektur.
Wünschen Sie sich manchmal, dass die laufenden Reformen schon umgesetzt wären, damit die Diözese wieder mehr Energie für anderes hat?
Scheuer: Zunächst sehe ich viele Beispiele dafür, dass wir uns auch jetzt nicht nur mit uns selbst beschäftigen. Die Auseinandersetzung mit Strukturen ist keine Herzensangelegenheit für mich. Aber sie ist notwendig, weil sie Auswirkungen auf den Geist, die Beziehungen und die Spiritualität hat.
Im Schloss Puchberg gibt es von der Künstlerin Lydia Roppold gestaltete Gesichter, auf welchen ein Auge nach innen, das andere nach außen blickt. Wir brauchen beides.
Als Bischof sind Sie wie die meisten Seelsorger:innen zu Ostern stark im liturgischen Einsatz. Aber davon einmal abgesehen: Was ist Ihnen beim Feiern des Osterfestes besonders wichtig?
Scheuer: Die drei heiligen Tage von Gründonnerstag bis zum Ostermorgen bilden zusammen eine Liturgie, einen Gottesdienst. Dieser Gottesdienst ist sakramentale Vergegenwärtigung. Im Hochgebet der Messe vom Letzten Abendmahl am Gründonnerstag heißt es ausdrücklich: „Das ist heute.“
Beim Evangelisten Lukas lesen wir immer wieder: „Heute ist euch der Heiland geboren“, „heute ist diesem Haus das Heil widerfahren“, „heute hat sich dieses Schriftwort erfüllt“. Das ist alles nicht nur ein 2000 Jahre altes Geschehen.
Das „Heute“ des Osterfestes umfasst aber nicht nur die Auferstehung, sondern auch die schwierigen Phasen am Karfreitag und Karsamstag. Auferstehung werden wir nicht nur an unserem Lebensende erfahren, sondern erfahren sie im Kleinen schon heute. Das gemeinsame Feiern der Tage von Gründonnerstag bis zum Ostermorgen hat mit Dunkelheit und Licht, Wasser und Feuer und dem Wort eine Kraft, auf die wir uns einlassen können, die uns berühren und verwandeln kann.
Herr Bischof, ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche Ihnen ein frohes Osterfest!
Scheuer: Das wünsche ich Ihnen und allen Leserinnen und Lesern auch.
Wort zum Sonntag
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