Wort zum Sonntag
Gleich zu Beginn im neuen Buch herrscht Verwirrung bei zwei gerade erst Verstorbenen. Die weibliche Figur ist sehr gläubig und hat sich das Jenseits ganz anders vorgestellt. Sie findet weder Gott, noch Engel oder Sünder. Haben Sie persönlich auch eine bestimmte Vorstellung vom Jenseits?
Sibylle Lewitscharoff: Keine fixe, das ist ja vollkommen unmöglich, aber ich habe in diese Figur der alten Dame, die frei erfunden ist, schon etwas hineinprojiziert, was meinen vagen Vorstellungen entspricht. Ich teile ihre Art der etwas lockereren Frömmigkeit, die auch leicht erschütterbar ist, aber dennoch immer vorhanden war im Leben, wiewohl ich protestantisch bin und sie ist katholisch.
Was denken Sie, erwartet uns nach dem Tod?
Lewitscharoff: Es ist die Vorstellung bei mir vorhanden, die vielleicht mit der Angst, aber auch mit der Hoffnung verknüpft ist, dass es ein Gericht gibt. Das ist für mich wesentlich. Ein Gericht in dem Sinne, dass das Leben auf eine brillante, vollkommen andere Art, als wir sie kennen, durchleuchtet wird – und somit das, was man als Sünden und als unsere guten Taten oder das vor sich Hinwursteln bezeichnen kann, noch einmal ganz scharf und konturenreich vor uns hintritt.
Diese fromme Frau ist der Meinung, mit einer einzigen, vom Herzen kommenden guten Tat sei es möglich, Sünden aufzuwiegen. Können Sie das nachvollziehen?
Lewitscharoff: Ja, das wurde auch von alters her immer wieder beispielhaft gelehrt. Ich finde, das ist eine geglückte Idee. Sie zeigt, dass jemand, der aus dem normalen Leben heraustritt, in dem er vielleicht nachlässig oder tendenziell bösartig ist, und plötzlich etwas Gutes tut, einen Sprung heraus in eine ganz andere Seinsverfassung macht, die von vornherein erlösungsfähiger ist, als alles andere, was der Mensch so treibt. Und dass auf diese Form der plötzlichen Hilfsbereitschaft oder Großzügigkeit so etwas wie ein Gnadenstrahl fällt.
Tod und Sterben sind Themen, die in Ihren Werken immer wieder vorkommen. Hat das auch mit persönlichen Erfahrungen in Ihrem Leben zu tun?
Lewitscharoff: Sicher hat meine Beschäftigung mit religiösen Phantasien damit zu tun, dass es für mich ein in meiner Pubertät doch sehr schwieriges Jahr gab, in dem mein Vater Suizid beging und meine geliebte Großmutter gleich hinterher starb. Das war doch starker Tobak. Und um da irgendwie auch psychisch gut durchzukommen, habe ich mir vorgestellt, dass sie mich von oben her in gewisser Weise wohlwollend begleiten.
Wie war Ihr Leben vom Glauben und auch von Ihrer Großmutter geprägt?
Lewitscharoff: Zunächst sehr stark. Sie wohnte bei uns im Haus und als Kind bin ich ständig mit ihr zusammen gewesen. Meine Großmutter war eine fromme Protestantin und für mich der liebenswürdigste, gutherzigste Mensch, der mir je begegnet ist – frei von Bosheit, sehr hilfsbereit und verständnisvoll. Das spiegelte ihr Leben auf eine wunderbare Weise wider. Sie hatte auf mich einen sehr schönen und auch beruhigenden Einfluss. Auch die Menschen in der Nachbarschaft sind mit ihren Problemen gerne zu ihr gekommen. Sie war eine sehr einfache Frau, nicht sehr gebildet, ein Bauernkind, das Jüngste von zwölf Kindern. Sie glaubte innig an Gott und lebte eine völlig unaufdringliche Frömmigkeit. Nie ist sie jemanden über den Mund gefahren.
Sie sprechen die Liebenswürdigkeit an – die Liebe kommt auch im Buch ins Spiel und zwar im Hinblick auf die Unterschiedlichkeit der beiden Hauptfiguren. Laut männlichem Part braucht es die Liebe, um die Gegensätzlichkeit zu überwinden. Wie wichtig ist die Liebe im christlichen Sinne für Sie persönlich?
Lewitscharoff: Sie ist äußerst wichtig. Nicht umsonst steht die Nächstenliebe ganz hoch im Kurs. Zu einem liebesfähigen Menschen gehört die Hilfsbereitschaft, gehört die Aufmerksamkeit zu den anderen. Dazu gehört auch zu suchen, um zu verstehen. Es ist doch wunderbar im Leben, wenn man solchen Menschen begegnet, weil man sich dann auch selber in eine andere Gewogenheit hineinbegibt. Die religiöse Hut, in die ich schon als Kind genommen wurde, hat dazu geführt, dass ich über die Nächstenliebe immer nachgedacht habe und in Form der Großmutter sah, wie wertvoll es ist, wenn man sie unablässig und wahrhaftig praktiziert, ohne etwas zu verlangen. Sie war immer mein Vorbild und sie ist es bis heute geblieben.
Sie lebte eine Art Bedingungslosigkeit ...
Lewitscharoff: Ja. Sie erwartete auch nicht, dass die Leute sich glühend bei ihr bedanken. Ich glaube, sie hat nicht darüber nachgedacht, sie hat es einfach gemacht. Und das ist das Allerschönste, wenn der Kampf in sich selber aufhört „soll ich, soll ich nicht“. Dadurch hatte sie ein heiteres Wesen. Ich glaube, ein entspannter, hilfsbereiter, dem Nächsten zugewandter Mensch hat automatisch viel mehr Möglichkeiten, die Freude zu entdecken. Und wenn er sie entdeckt, dann sich in ihr auch gemütlich zu bewegen.
Trifft das auf Sie selbst zu?
Lewitscharoff: Ich bin selten biestig verfasst, wenn ich Menschen treffe. Das heißt aber nicht, dass ich nicht streite; das kann ich richtig gut. Wenn ich mit Freunden etwa auf religiös-philosophische Themen komme, bekämpfen wir uns schon richtig. Das sind köstliche Streits ohne böse Radikalität. Die Diskussionen, die wir führen, sind nicht fad.
Waren diese Streits Zündstoff für das neue Werk?
Lewitscharoff: Nein, es hat einen ganz anderen Anlass gehabt. Ich wollte immer mit Heiko Michael Hartmann ein Buch schreiben. Er ist ein bedeutender Jurist und Schriftsteller und wir sind seit langem befreundet. Und es ergab sich eine gute Gelegenheit, ihn ins Boot zu holen. Es ist nicht so, dass ich den Einfall hatte, lass uns diese Art von Disput beginnen, sondern wir haben gemeinsam überlegt, wie wir es angehen. Und dann kam die Idee, so machen wir das.
Während die beiden Figuren im Buch im Jenseits warten, streiten sie über Themen wie Glaube, Gott, Tod, Gericht und Erlösung. Auch über die Sinnhaftigkeit ihres Zusammentreffens. Er meint, es gehe vermutlich darum, dass sie erst dann Frieden finden, wenn sie einander begreifen. Wie ist das gemeint?
Lewitscharoff: Dieser Figur geht es um eine Art Versöhnung, denn die beiden sind ja sehr kontrovers. Ihre Vorstellungen prallen zwischendurch sogar ziemlich scharf gegeneinander. Und das ist ein wichtiger Hinweis dieses erfundenen Mannes, dass er doch im Grunde einlenkt und sich nach einer Art von philosophisch-religiöser Eintracht sehnt.
Zum Schluss tritt ein, was sich beide anfangs wünschen. Sie wollte immer mit den Seelen, die sie trifft, mitziehen; und er hat plötzlich Angst, sie zu verlieren, obwohl er zu Beginn das Nichts herbeisehnte. Was wollen Sie damit aufzeigen?
Lewitscharoff: Am Ende kommt es in gewisser Weise für beide zur Erfüllung. Die weibliche Figur rechnete ja mit einer Art der Seinsüberführung. Und auch der Mann bekommt seine Vorstellungen serviert, nur ist es bei ihm schrecklich, weil er sich an den Gemeinschaftszustand gewöhnt hat – entgegen seiner Erwartung. Er hat ja mit dem Nichts gerechnet. Durch sie wurde er wider Willens zu einer gewissen Art von Leben erweckt. Und dann wird er daraus wieder verscheucht. Traurig für ihn. Er tut mir echt Leid.
Letztlich weiß man aber nicht, was passiert ...
Lewitscharoff: Die Frage des Gerichts bleibt offen. Nur würde ich schon sagen, dass es eine Form der romanhaften Gerichtserwartung ist, denn es sind Vorboten des Gerichts da. Im Grunde habe ich es für mich als Autorin so konstruiert, dass die weibliche Figur auch Recht hat.
Das haben Sie klug angelegt. Gibt es schon ein neues Buchprojekt, an dem Sie arbeiten?
Lewitscharoff: Ja klar. Das ist etwas ganz anderes. Eine Kriminalgeschichte. Es geht um schwerste Verfehlungen, die wirklich in meiner Heimatstadt Stuttgart stattgefunden haben. Mord und Totschlag in bitterster Weise. Vorerst gibt es davon aber nur Skizzen. «
- Buchtipp: Sibylle Lewitscharoff, Heiko Michael Hartmann „Warten auf ... Gericht und Erlösung: Poetischer Streit im Jenseits.“, Verlag Herder, 1. Auflage 2020, Euro 20,60.
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