Wort zum Sonntag
Wachstum lautete das Schlüsselwort. Jahrzehnte lang war es so: Erfolgreich wirtschaften: undenkbar ohne das Wirtschaftswachstum. Wer bestehen will, muss wachsen, sonst wird er vom Markt überwuchert und muss weichen. Als wäre Entwicklung ohne Wachstum gar nicht möglich, so fest hat sich diese Ansicht im allgmeinen Bewusstsein verankert. Doch es gibt Zweifel an diesem „Glauben“. Begründte Zweifel.
Wer im Frühsommer die Felder enlangwandert, dem begegnet es ganz augenscheinlich: Die Zeit des Wachsens findet ihr Ende, ist vielleicht schon vorbei. Jetzt gilt nicht mehr: noch höher, noch mehr. Wachsen kehrt sich ins Reifen. Eine Nachsaat nützt nichts mehr, die Pflanzen würden nicht mehr zur Reife kommen. Jetzt hilft auch kein Düngen mehr. Nicht noch mehr Zufuhr an Nährstoffen braucht es jetzt, sondern vor allem dies: Zeit, Wärme und Licht. Auch, dass das Wetter passt, und kein Hagel alles zunichte macht.
Die Wende um die Jahresmitte hat sich in die Seele des Menschen tief eingegraben. Jeder Mensch erlebt es auch an sich selbst, wenn er in der wahrscheinlichen Lebensmitte angelangt ist. Leben erschöpft sich nicht im Wachsen. „Wie groß du schon bist!“, sagt man zu Kindern – und sie betrachten es als Anerkennung. Ein älterer Mensch würde eine solche Anrede dümmlich – als Verspottung – empfinden. Als ob es bloß auf das Wachsen ankäme. Warum lässt man dann andere Dinge gar nicht aufhören, größer zu werden?
Was immer nur wächst, wächst sich zu Tode – oder verdrängt anderes. Sollte diese natürliche Grenze nicht auch für das Wirtschaftsleben gelten? Können Wirtschaftssysteme nur im Verdrängungswettbewerb bestehen, also nie in einer sinnvollen Größe erwachsen werden?
Gut werden. Der Blick in das Weizenfeld lehrt Dankbarkeit. Es ist gut, was geworden ist. Mehr wird nicht mehr. Aber gut und besser kann es werden. Wenn es nicht um Weizen, sondern um Menschen geht: Weiser können sie werden. Zufriedener. Gut vor allem darin, das Leben anzunehmen und Freude zu spüren am Leben.
Es sind jetzt nicht mehr vorwiegend die eigenen Kräfte, auf die sich der Mensch nun verlässt. Mehr und mehr spürt er, wie er sich anderen verdankt. Beim Reifen sind vor allem andere Kräfte am Werk. Die Sonne. Der Wind. Nicht mehr das Sich-Aneigenen steht im Vordergrund. Geben wird wichtig und ein Mensch beginnt mehr und mehr zu spüren: Im Geben erfüllt sich das Leben.
Johannes, der Evangelist, ist vielleicht beim Nachsinnen darüber, wer Jesus für ihn ist, an einem Weizenfeld entlanggewandert, als er diese Erkenntnis gewann: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“ Ein Bild für das Reifen des Menschen ist das. Nicht immer nur größer, erfolgreicher, berühmter soll er werden, sondern fähig zur Hingabe. In ihr erfüllt sich das Leben.
Wort zum Sonntag
Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
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