Wort zum Sonntag
„Wir werden den Jakobsweg nicht gehen. Es sind zu viele Leute unterwegs!“ Diese weit verbreitete Meinung wurde auch von meiner Frau und mir vertreten. Trotzdem beschlossen wir im Rahmen eines Spanienurlaubes zwei „Schnuppertage“ auf dem Jakobsweg zu verbringen. Wir wollten uns selbst ein Urteil bilden und starteten von Burgos aus in die wüstenähnliche Meseta. Dieses kurze „Fenster“, das sich uns auftat, war so faszinierend und in den Bann ziehend, dass wir bereits am Ende dieser beiden Tage beschlossen, alles in die Wege zu leiten, um bald schon den ganzen Weg in Angriff nehmen zu können.
So kommt es auch, dass wir im August 2018 in der kleinen französischen Stadt Saint-Jean-Pied-de-Port den klassischen Jakobsweg Camino Frances starten. Die Überquerung der Pyrenäen ist die erste große Herausforderung auf dem Weg nach Santiago de Compostela. Gewitter, Regen und dichter Nebel begleiten uns wie das Schlagwerk einer mächtigen Symphonie. Noch wissen wir nicht, ob das Vorhaben gelingen kann. Schaffen es die Füße, halten die Knie, ist das Herz stark genug und reicht die psychische Kraft, diese Anstrengungen zu meistern? Die meisten Pilgerinnen und Pilger können auf keine vergleichbaren Erfahrungswerte zurückgreifen, kaum jemand ist im Leben rund 800 Kilometer innerhalb von fünf Wochen gegangen. Auch wir nicht. Ja, es braucht ein wenig Mut. „Dein Wille geschehe“ ist eine gute Überschrift für den Start.
wird bestätigen, dass der Jakobsweg „etwas macht“. Er zieht dich nach Santiago de Compostela. Der Sog ist vom ersten Schritt an zu spüren. Der Weg lockt dich durchs Land und hält jede Menge interessanter Begegnungen für dich bereit: Zwei junge Kärntner, die ihr unbefriedigendes Arbeitsverhältnis in der Metallbranche gekündigt haben, um am Weg in den Westen nachzudenken, wie ihr Leben sich sinnvoller gestalten lässt. Eine alleinstehende Frau aus Mailand, die hofft, am Weg einen Partner fürs Leben zu finden, eine Großmutter aus Dänemark gönnt sich eine Pilgerreise mit einem ihrer Enkelkinder, ein junger Spanier verbringt wie so oft schon eine Woche am Jakobsweg, weil er das bereits als Kind mit seiner Mutter gemacht hat. Der pensionierte Franzose, der sich vornimmt, mit seinem steifen Bein den Weg zu gehen, ist ebenso faszinierend wie das über 80-jährige Ehepaar aus Neuseeland, das den Weg noch ein zweites Mal erleben will.
warten auf dem Weg. Pamplona, Burgos, Leon – um nur einige zu nennen. Aber das große Beeindruckende sind die weiten Landschaften dazwischen: Weinbaugebiete, die Hochebene, in Spanien Meseta genannt, alte Dörfer, Kirchen und eine nie enden wollende Anzahl von gelben Pfeilen, die dir den Weg zeigen. Zu essen und zu trinken gibt es reichlich. Pilgermenüs werden überall kostengünstig angeboten.
Natürlich, wenn man das möchte, und Gott seinen Sanctus dazu gibt, wird es gelingen. Für mich stellt sich diese Frage nicht, denn es würde bedeuten, dass ich ihn davor noch nicht gefunden habe, was ich so nicht sagen kann. Ich bin auch der Ansicht, dass unser Schöpfer in allem und überall und zu jeder Zeit zu suchen und zu finden ist. Man muss nicht extra nach Spanien reisen. Wozu also am Jakobsweg unterwegs sein? Es sind die zahlreichen Erkenntnisse, die das lange Gehen für uns bereithält. „Ist der Rucksack zu schwer, musst du dich von Ballast befreien“ – „Die Last trägst du im Rucksack, nicht in dir“ und Ähnliches. Und es werden Fragen beantwortet. Heute weiß ich zum Beispiel, dass mein Glaube mich und meine 100 Kilogramm tatsächlich „über Berge versetzen“ kann, ich verstehe die Jesus-Worte „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ besser. Ich weiß heute, dass ich mich nach Frieden und Versöhnung sehne. Auf dem langen Weg wird klarer, was und wer dir wirklich wichtig ist.
voller emotionaler Höhepunkte wartet ebenfalls auf den, der sich öffnet. Dazu gehört mit Sicherheit das Pilgerdenkmal am Alto del Perdon. Hier spürst du, dass tausende, ja hunderttausende Pilgerinnen und Pilger unterwegs waren, sind und sein werden. Du gehst mit ihnen, mit allen – auch mit jenen, die ihr Lebensziel bereits erreicht haben. Der Weg verbindet dich. Das berührt unerwartet tief, es macht Tränen locker. Das Cruz de Ferro, ein Eisenkreuz auf einem Baumstamm montiert, lädt ein, lästige Last abzulegen. So kommt es, dass kleine Steine aus der ganzen Welt sich zu einem Hügel zusammenfinden. Zwei davon stammen aus St. Pölten, sowie meine Tränen der Erleichterung.
Und ja, der spanische Jakobsweg findet natürlich seinen Höhepunkt vor und in der Kathedrale von Santiago de Compostela. Wieder erhältst du Antworten auf Fragen: Was ist Freude? Wie fühlt sie sich an? Habe ich jemals so tiefe Befriedigung erlebt? Ist es Ehrfurcht, die ich verspüre, wenn das ungewöhnlich große Weihrauchfass, Batafumeiro genannt, durch die Kathedrale fliegt?
Heute – drei Jahre später – ist mein Gewinn noch immer klar: Ich spüre nach wie vor die Stärkung meines Geistes, meines Körpers und meiner Seele. Diese fast 1000 Kilometer haben mich in allem kräftiger gemacht. Unserem Gott sei Dank für diese schöne Welt. Meiner Frau danke ich, dass sie mir die beste Gefährtin war und ist. Mir selbst bin ich dankbar, dass ich mir erlaubt habe, diesen Weg zu gehen. Lebenslang dankbar singt mein Herz: „Herr, ich bin dein Eigentum, dein ist ja mein Leben. Mir zum Heil und dir zum Ruhm hast du mir’s gegeben. Väterlich führst du mich auf des Lebens Wegen meinem Ziel entgegen.“
Am 25. Juli ist der Festtag des heiligen Apostels Jakobus. Fällt dieser auf einen Sonntag, wird in Santiago de Compostela ein „Heiliges Compostelanisches Jahr“ begangen. Dass sich in solchen Jahren besonders viele Pilger auf den Weg zum „Sternenfeld“ am westlichsten Zipfel des europäischen Festlandes machen, liegt auch am Ablass, den Papst Alexander III. am 25. Juli 1179 gewährte.
Die Jakobsverehrung in Spanien geht auf die legendarische Auffindung der mit einem Schiff an der andalusischen Küste gelandeten Reliquie des enthaupteten Apostels Jakobus zurück. Da Beweise fehlen, wird über die Echtheit gestritten. Nach anderer Überlieferung soll der Apostel auf der Iberischen Halbinsel missioniert haben.
Beladene Geschichte. Spanische Könige erwählten den Apostel Jakobus zum Schutzherrn im Kampf gegen die Mauren. Man sah in ihm den „Soldaten Christi“, stellte ihn als Ritter auf einem Pferd dar und gab ihm den Beinamen Matamoros („Maurentöter“). Die Etablierung einer christlichen Herrschaft („Reconquista“) in Spanien ist zugleich eine „Narbe in den Seelen von Muslimen, Juden und Ketzern“, wie der Kulturwissenschaftler Roland Girtler in seinem so betitelten Buch aufzeigt.
Erbe. 1987 erklärte der Europarat die Wege der Jakobspilger zur ersten europäischen Kulturstraße. Der spanische Hauptweg ist seit 1983 Weltkulturerbe.
Zum Heiligen Jahr gibt es heuer erstmals ein Treffen für Jakobswegpilger aus Österreich, zu dem Erzbischof und Jakobswegpilger Franz Lackner einlädt.
Informationen: 0662/80472087 5. November 2021, 18.30 Uhr im Bischofshaus, Kapitelplatz 2, Salzburg
Wort zum Sonntag
Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
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