40 Jahre beschäftigt sich Andrea Schwarz schon mit der Bibel und immer wieder stößt die geistliche Schrifstellerin auf Texte, die sie bisher überlesen hat. Plötzlich werden sie bedeutend. Das macht für sie den Reiz der Bibel aus: dass sie Wege in das Leben weist.
Ausgabe: 2014/06, Schwarz, Bibel, Bibliolog
04.02.2014 - Das Gespräch führte Josef Wallner
Ihr Buch „Die Bibel entdecken“ liegt druckfrisch am Tisch. Wie haben Sie selbst die Bibel entdeckt? Andrea Schwarz: Eigentlich durch die katholische Jugendarbeit. Mit 17 oder 18 Jahren habe ich die Kar- und Ostertage mit Verantwortlichen der Jugendarbeit und mit drei, vier Jugendseelsorgern verbracht. Die Tage standen unter dem Motto: „Den Armen die gute Nachricht bringen“. Ich war damals sehr missionarisch eingestellt und habe gedacht: Das gilt den anderen und ich bin aufgefordert, ihnen etwas Gutes zu sagen. Aber bei diesen Tagen habe ich kapiert und verstanden, dass die Botschaft – die gute Nachricht – zu allererst mir gilt. Dass ich arm bin, dass ich befreit werden muss. Da habe ich bemerkt, dass biblische Texte mit meinem Leben zu tun haben. Nur dann, wenn ich sie in mein Leben hereinlasse, kann ich sie auch anderen weitergeben.
Seitdem hat Sie die Bibel nicht mehr losgelassen? Schwarz: Ja, so kann man das sagen. Ich stoße immer wieder und wieder auf Bibelstellen, die wunderschön sind, die mich berühren und von denen ich mir sage: Komisch, dass ich die bis jetzt übersehen und nicht wahrgenommen habe. Und immer wieder passiert es mir, dass ich an einer scheinbar vertrauten Bibelstelle etwas ganz Neues entdecke. Das finde ich spannend!
Können Sie uns ein Beispiel geben? Schwarz: Wir planen nächstes Jahr in der Diözese Osnabrück ein Jahr des Innehaltens. Es gibt ein Zuviel an Aktivitäten. Da ist ein Kontrapunkt wichtig. Motto für dieses Jahr des Innehaltens ist eine Bibelstelle, in der von Gott gesagt wird: „Und er atmete auf“, nachdem er den Sabbat geschaffen hatte. Das ist eine so schöne Stelle – Exodus 31,17b. Die habe ich noch nie beachtet: Gott selbst atmet auf, weil auch er ausruht. Wie genau dieses Jahr des Innehaltens aussehen wird, kann ich auch noch nicht sagen, aber eine interessante Frage wird sicherlich sein: „Was können wir lassen?“, statt: „Was sollen wir tun?“
Nach Ihrer Erfahrung: Was macht Menschen neugierig auf die Bibel? Schwarz: Das Gleiche, was mir damals passiert ist: dass Menschen einen Bezug herstellen können zwischen den biblischen Texten und ihrem Leben. Dass sie merken: Die Bibel ist kein langweiliges Buch, das man über weite Strecken nicht versteht. Menschen erleben dann, wie spannend es ist, in das uralte Menschheitswissen der Bibel hineinzugehen und zu schauen, wohin mich die Spuren führen.
Man hat womöglich bei einem Vortrag für die Bibel Feuer gefangen. Wie soll man nun ganz praktisch vorgehen? Schwarz: Der Vorsatz, die Bibel von Seite 1 bis 1300 zu lesen, ist wahrscheinlich ein sehr hehres Vorhaben, aber in den seltensten Fällen durchzuhalten. Ich würde eher empfehlen, mit einem der Evangelien anzufangen. Das Markusevangelium bietet sich an, weil es das älteste ist und am realistischsten erzählt. Gut wäre es, sich einen Evangelienkommentar zu besorgen und neben die Bibel zu legen. Die zweite Möglichkeit anzufangen, ist das Zufallsprinzip. Das heißt: Ich schaue einmal, was mir an Bibelversen oder biblischen Erzählungen „über die Füße läuft“ – sei es im Gottesdienst, sei es durch einen Kalender mit biblischen Versen, die Lust machen, diese Bibelstelle einmal nachzuschlagen. So hangelt man sich auch durch. Und dann landet man über kurz oder lang doch wieder bei der ersten Variante.
Es fällt auf, dass eine allgemeine Begeisterung für die Bibel, wie sie im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils aufgebrandet ist, wieder deutlich abgenommen hat? Warum? Schwarz: Weil es natürlich schon ein bisschen Mühe macht, das eigene Leben zu entdecken. Manche Geschichten erschließen sich eben nicht sofort. Und wir Menschen des 21. Jahrhunderts lesen die Geschichten der Bibel mit dem Kopf, statt mit dem Herzen. Die Geschichten der Bibel aber wollen mit dem Herzen aufgenommen werden.
Was bringt die Beschäftigung mit der Bibel für das Leben? Schwarz: Grundsätzlich eine lebendigere Beziehung zu Gott. Weil ich mich in die Tradition von Menschen und Betern hineinstelle, die ihre Erfahrung mit Gott gemacht haben. Das kann auch mich ermutigen, mich auf eine Beziehung zu Gott einzulassen und Vertrauen zu gewinnen, dass Gott sich dem Menschen immer wieder zeigt, in den Höhen und Tiefen des Lebens. Biblische Texte öffnen ein Bild von Gott in sehr vielen Facetten. Sie zeigen auch den dunklen Gott, den Gott, der sich verbirgt. Es gibt eben nicht nur den Kuschelgott. Daher kann das Lesen der Bibel mir bislang fremde Gottesbilder anbieten und mein persönliches Gottesbild erweitern. Die Beschäftigung mit der Bibel führt mich in eine lebendige Beziehung mit Gott hinein. Sie stärkt das Grundvertrauen, dass Gott bei mir ist, auch wenn ich ihn in bestimmten Zeiten nicht sehe. Fürs Leben bringt die Beschäftigung mit der Bibel das Grundvertrauen, dass Gott bei mir ist
Sie bieten als eine Form des Zugangs zur Bibel die Methode des Bibliologs an – in dieser Woche noch in Ried im Innkreis und Attnang. Was steckt hinter diesem Fremdwort? Schwarz: Bibliolog ist die kleine Schwester des Bibliodramas. Man versetzt Menschen in biblische Rollen und lässt sie aus dieser Rolle heraus sprechen. Zum Beispiel: Jesus segnet die Kinder. Da kann man zu einer Teilnehmerin sagen: „Du bist eine Mutter und bringst dein Kind zu Jesus. Was erhoffst du dir für dein Kind?“ Aufgrund der Antworten kommt die ganze menschliche Vielfalt der biblischen Botschaft zum Tragen. Das Erleben biblischer Szenen hilft, die Bibel ins eigene Leben zu übertragen.
Sie waren längere Zeit bei Missionsschwestern in Südafrika und haben dort Bibliologleiterinnen ausgebildet. Warum? Schwarz: Bibliolog kann man auch mit Menschen machen, die nicht lesen und schreiben können. Man braucht dazu kein Material. Bibliolog ist auf jeder Missionsstation auf dem Land einsetzbar. Man kann die Menschen so biblische Geschichten erleben lassen.
Wenn Sie für unsere Zeit ein spirituelles Überlebenspaket schnüren müssten: Was würde da reinkommen? Schwarz: Die Bibel auf jeden Fall, ich würde noch eine schöne Kerze dazulegen und damit Stille und Schweigen verbinden. Ich glaube, dass wir auch in den Gottesdiensten die Stille verlernt haben, das Loslassen, das Innehalten. Es wäre gut, wenn wir das wieder lernen könnten. Achtsamkeit würde ich dazupacken – und natürlich eine tüchtige Menge Humor.
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Wege in die Bibel
Man braucht kein schlechtes Gewissen haben, wenn man keine Ahnung von der Bibel hat. Andrea Schwarz nimmt diese Leute an die Hand und führt sie Schritt für Schritt ein in das Buch der Bücher: kurzweilig, humorvoll und kompetent. Aber nicht nur Anfänger/innen kommen auf ihre Rechnung, auch Fortgeschrittene stoßen darin auf manch Neues. Die Fragen „Was ist wahr an der Bibel?“ oder „Die Bibel für mich“ hat selbst ein Experte nie ein für allemal beantwortet. – Ein ansprechendes Buch, das am 3. Februar 2014 von der Autorin und dem Linzer Bibelwerk im Pastoralamt Linz druckfrisch präsentiert wurde.