Der Advent ist eine Schule des Wartens. Leitartikel von Matthäus Fellinger.
Ausgabe: 2014/49, Warten, Liebespaar, Erwartung
02.12.2014
Warten ist lästig – und ist niemandes Lieblingsbeschäftigung. Es hält auf. Ginge das alles nicht schneller? Warten müssen, weil jemand sich verspätet. Eine Zumutung. Was, wenn es kein Warten mehr gäbe – auf nichts und niemanden? Alles schon da, sofort und unverzüglich? Der Wunsch, der zur Erfüllung keine Zeit mehr braucht? Ist Warten vielleicht so etwas wie Hunger? Wer ihn nie spürt, verliert die Lust am Essen, und es schmecken ihm die köstlichsten Speisen nicht mehr. Aber: Wer gar nichts bekommt, verhungert. Warten ist so etwas wie der Hunger der Seele. Man muss darauf achten, dass niemand an nie gestillter Erwartung verhungert. Es gibt auch die Völlerei der Seele. Sie will nicht warten, erfüllt sich alles sofort – auf schnellstem Wege – und verliert alle Lust dabei. Der Advent ist eine Schule des Wartens – nicht für Mathematik – eine Tanzschule eher. Sich einstimmen und einüben auf das Schritt- und Zeitmaß anderer. Die Erwartung hat einen Freund: das Entgegenkommen. Wie ein Liebespaar sind sie – Hand in Hand. Liebespaare sind Menschen, zwischen denen ein Erwarten besteht. Ein Du – und Ich. Ein Mensch – und Gott. Wie gut, wenn man jemand zum Warten hat.