Klaus Egger,seit neun Jahren Generalvikar und Herausgeber der Kirchenzeitung der Diözese Innsbruck, hat diesen Kommentar verfaßt. Neben dem bekannten Vater-unser des Matthäus begegnet uns an diesem Sonntag bei Lukas die vermutlich ursprüngliche Fassung des Herrengebetes. Matthäus plaziert das Vaterunser genau in der Mitte der Bergpredigt, Lukas führt uns an den Ursprungsort dieses Gebetes. Die Jünger hatten offensichtlich bei Jesus erlebt, wovon der Psalm 34 weiß: „Wenn ihr zum Herrn aufblickt, dann leuchtet euer Angesicht.“Einmal, als Jesus auf einem hohen Berg betete, hatten Petrus, Johannes und Jakobus erlebt, wie sein Gesicht und sogar sein Gewand strahlend weiß wurden. Damals waren sie so betroffen, daß sie mit niemandem darüber sprachen. Wenn sie dann bei anderer Gelegenheit, als sich Jesus wieder einmal zurückzog zu beten, darum bitten, er möge sie beten lehren, dann kann man wohl auch heute noch nachempfinden, welche Ausstrahlung das Beten Jesu haben mußte.Ausstrahlung BetenderVor einigen Jahren hatte ich Gelegenheit, ein paar Tage in einem Karmel zu verbringen. Früh, mittags und abends nahm ich an den Gebetszeiten der Schwestern teil. Und was ich selbst erfahren habe, konnte ich in vielen Eintragungen im Gästebuch nachlesen: „Dies ist ein Ort von ganz besonderer Ausstrahlung . . . hier kann man etwas von der Welt Gottes erfahren . . . es tut ungemein gut, sich vom Gebet dieser Gemeinschaft tragen zu lassen . . .“Vermutlich haben viele von uns ähnliche Erfahrungen gemacht. Ich denke an die vielen Wallfahrtsorte, an die stillen Sakramentskapellen der großen Dome, aber auch an Gottesdiensten in kleinen Gruppen. Vielleicht sollten wir Menschen von heute uns öfter jenen Menschen an-schließen, die im Beten erfahren sind und auch Orte aufsuchen, an denen es eine gute Gebetsatmo-sphäre gibt.Im Anschluß an den Text des Vaterunser überliefert der Evangelist eine Geschichte und drei sprichwortartige Sätze, die uns helfen möchten, ins rechte Beten hineinzukommen. Die Geschichte scheint unmittelbar aus dem Leben gegriffen zu sein. Da kommt einer von einer weiten Reise und klopft, es ist bereits Mitternacht, bei einem Freund. Der öffnet ihm die Tür, hat aber nichts anzubieten. So weckt er in seiner Not einen Nachbarn und bittet um drei Brote. Wie beten gelingen kannDa unterbricht Jesus die Geschichte und stellt seinen Jüngern die Frage: Wird dieser – wenn schon nicht um der Freundschaft willen, so doch, um möglichst schnell wieder zu seiner Nachtruhe zu kommen – nicht aufstehen und die erbetenen Brote seinem Nachbarn reichen? Daraus leitet Jesus im Blick aufs rechte Beten drei Worte ab, die uns allen geläufig sind: „Bittet, und es wird euch gegeben werden, sucht, und ihr werdet finden, klopft an, und es wird euch aufgetan.“ Bitten, suchen, anklopfen, das sind die Grundhaltungen, die echtes Beten gelingen lassen. Und dann die große Verheißung: Allen, die wirklich bitten, wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben, mit anderen Worten, er schenkt sich selbst als Antwort auf all unser Bitten, Suchen und Anklopfen.