Volkskultur zu bewahren heisst, sie zu verändern. So hat sich der Volkstanz längst vom dörflichen Fest hin zum Ballsaal bewegt. Das hält ihn lebendig, sagt die Volkstanzexpertin Else Schmidt.
Die Wiege des Volkstanzes und seiner Musik ist das Dorf. In der dörflichen Gemeinschaft sind jene Tanzmusik und ihre Schritte entstanden, die die Feste im Lauf eines Jahres und eines Lebens begleitet haben. Getanzt wurde beim Erntedank und bei der Hochzeit. Nicht getanzt wurde im Advent und während der Fastenzeit vor Ostern. Dann kamen Lehrer aus dem städtischen Bereich und zeichneten die Tänze erstmals auf. Das war an der Wende zum 20. Jahrhundert. Seitdem hat der Volkstanz den Weg vom dörflichen Fest in den Ballsaal zurückgelegt.
Vom Lebens- in den Freizeitraum
„Im städtischen Bereich ist der Volkstanz ein Tanzangebot wie Salsa oder Tango, dadurch verändert sich der Zugang zu solchen Tänzen“, sagt Mag. Else Schmidt, Lehrbeauftragte für Bewegungs- und Tanzpraktikum an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. „Dass man den Volkstanz – plakativ gesagt – aus dem Lebensraum in einen Freizeitraum geholt hat, ist die prinzipielle Transformation des Volkstanzes“, stellt Else Schmidt fest. Sie wird bei der Sommerakademie des Österreichischen Volksliedwerks Ende August in Gmunden sprechen. Der Titel ihres Vortrags: „Von der Wiese in den Ballsaal“. Wie der Volkstanz durch den Ortswechsel transformiert, verändert wurde, umfasst verschiedene Aspekte. Dazu gehört der Tanzboden ebenso wie die Instrumente. Während früher auf der Wiese oder auf Holzbrettern getanzt wurde, beklagen sich heute manch Tanzende, wenn das Parkett im Tanzsaal „pickt“. Und während die Tanzmusik von Geigen dominiert war und in Jugendbewegungen Gitarre und Blockflöte im Einsatz waren, sind heute meist die Klänge von Harmonika, gemeinsam mit Blas- oder Streichinstrumenten zu hören. Auch die Art und Weise, sich dem Volkstanz zu widmen, ist vielfältig geworden. Da gibt es das gesellige „Herumhüpfen“ und die einstudierte Bühnenproduktion, bei dem die Tanzenden mit dem Körper musizieren. Beides existiert gleichzeitig nebeneinander, ohne Hierarchie, je nach Talent und Neigung.
Neue Tradition
Doch wer den Volkstanz auf der Bühne oder im Saal aufführt, bewahrt nur vermeintlich ein altes Kulturgut, so Else Schmidt. „Denn in dem Moment, wo er an einem anderen Ort als dem dörflichen Tanzboden aufgeführt wird, entsteht, so paradox das klingt, eine neue Tradition.“ Die Orte haben sich verändert, die Räume sind größer geworden. Um die Musik bis in den letzten Winkel zu hören, braucht es elektronische Verstärker. Das ist eine Erscheinung, die Else Schmidt als Teil der Transformation bemerkt, ohne sie zu werten. Klaus Petermayr hingegen erfüllt die verstärkte Musik mit Ärger. Und zwar dort, wo sie den geschlossenen Raum verlässt.
Störend in der freien Natur
„Wieviel Musik verträgt die Natur?“, diese Frage beschäftigt Dr. Klaus Petermayr vom Oö. Volksliedwerk schon seit langem. Die Dauerbeschallung durch Musikveranstaltungen im alpinen Bereich sieht er als hochgradige Störung für Natur und Tierwelt. Vor allem die Konzerte in der Dachstein-Eishöhle kann er nicht nachvollziehen. „Dass der Mensch die Zivilisation bis in den letzten Winkel tragen und Musik machen muss, ist in meinen Augen nicht notwendig“, sagt der Musikwissenschafter. Ihm schwebt die Philosophie einer amerikanischen Bergsteiger-Gruppe aus den 1970er Jahren vor: Sich in der Natur überall bewegen, aber keine Spuren hinterlassen. Auch das wird bei der Sommerakademie Gesprächsthema sein.
Zur Sache
Das Österreichische Volksliedwerk lädt von 26. bis 29. August 2015 zur jährlichen Sommerakademie, diesmal nach Gmunden. Zum Thema „Musik und ihre Orte“ werden Vorträge, Workshops und eine Exkursion angeboten. Ziel der Veranstaltungsreihe seit 1992 ist es, Menschen, die Volkskultur leben und Wissenschafter/innen für einen fruchtbaren Austausch zusammenzubringen. volksliedwerk.at