„Irgend etwas“ wird es „nachher“ schon geben: so denken viele – auchChristen, wie Umfragen zeigen. Auferstehung meint etwas anderes.Ja, natürlich glaube ich an die Auferstehung der Toten. Nur, dieser Glaube ist mir im Zuge meiner religiösen Entwicklung zerbrochen. Ich konnte nicht mehr glauben, daß die toten Leiber aus ihren Gräbern steigen werden. Das hat eine tiefe Krise in meinem Leben ausgelöst. In meiner Seele hat ein Ringen und Kämpfen begonnen: gibt es Licht für diese Welt – oder nicht; gibt es einen Boden unter meinen Füßen – oder nicht; gibt es Wärme, Liebe für mich – oder nur Kälte und blanken Zufall; keine Geborgenheit und kein Zuhause. Sind unsere Häuser, die wir bewohnen, nur frommer Selbstbetrug?So wertvoll mir das Bild der Auferstehung war, mein Herz, meine Träume haben in anderen, dunklen Bildern gesprochen. Ein Traum hat mich lange begleitet, ja verfolgt: Ich falle in ein dunkles, abgrundloses Loch. Ich falle und falle – unendlich. Ein Gedicht R. M. Rilkes spricht mich in dieser Zeit an. Es heißt „Herbst“.Der Vers „Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält“ bohrt sich in mein Herz. Er hält meine Sehnsucht wach für das, was ich zur Zeit nicht erleben und nicht glauben kann.Und ich falle weiter. Dann, unvermittelt, befinde ich mich in den Weiten des unendlichen Weltenraumes. Kein Stern ist da. Und keine Sonne. Nur unendliche Dunkelheit. Und Kälte. Ich hänge an einem Seil mit einer Schaukel. Unter mir ein Abgrund gähnender Leere. Angst und Schrecken jagen durch meine Seele. Meine Schreie, meine Gebete verhallen ungehört. Ohne Echo. Ohne Antwort. Schweißgebadet und zittrig wache ich auf. Gott sei Dank. Ich liege im warmen Bett, in meiner geheizten Wohnung; in meinem frommen Selbstbetrug. Mir kommt Petrus in den Sinn, wie er, von Jesus gerufen, mitten auf dem See aus dem Boot aussteigt, übers Wasser geht und in seiner Angst versinkt. Immer wieder suche ich mir diese Stelle:Petrus sagte zu Jesus: „Herr, wenn du es bist, befiehl, daß ich über die Wasser zu dir komme.“ Jesus sagte. „Komm!“ Da stieg Petrus aus dem Boot, schritt über die Wasser hin und ging auf Jesus zu. Doch als er sah, wie heftig der Wind war, bekam er Angst und begann unterzugehen. Er schrie: „Herr, rette mich!“ Jesus streckte die Hand aus und ergriff ihn.Diese Angst ist es, in der auch ich versinke, ohne daß mir eine rettende Hand entgegenkommt.Mein Traum ist wieder da. Und wieder. So lange, bis ich begreife: Das Seil, die Schaukel, sie sind meine Sicherheit. Auch wenn ich nicht weiß, wo das Seil festgemacht ist und wer es festgemacht hat: Hier bin ich sicher. Wieder wächst mir ein Traum zu: Ich bin umhüllt von goldgleißendem Licht. Und ich sehe: In diesem Licht bin ich von Tausenden von Händen getragen. Ich fühle mich verankert und getragen in meinem Leben. Das läßt in mir Ruhe und Geborgenheit aufkommen.Mit diesem Bild habe ich begriffen, daß der Gott, der mich zur Auferstehung ruft, mich durch mein Leben trägt, über meine Abgründe hinweg, und ich vertraue darauf, daß er mich auch durch mein Sterben hindurch tragen wird.Die Blätter fallen, fallen wie von weit, als welkten in den Himmeln ferne Gärten; sie fallen mit verneinender Gebärde. Und in den Nächten fällt die schwere Erde aus allen Sternen in die Einsamkeit. Wir alle fallen. Diese Hand da fällt,und sieh dir andre an: es ist in allen.Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält. Wider die HoffnungslosigkeitDas Leben erwarten,wo der Toduns alle Hoffnungaus den Händen schlägt.Wer, Freund, der den Mundnicht zu voll nähme,vermöchte das?Die mit ihm gingen,haben auchder Vernichtung mehr geglaubtals ihm.Die sich ausschlossenvon seinen Möglichkeiten.schlossen sich einin die Angst.Jenseits der Angst aber– sie unaufhaltsam unterwandernd – der Friede. Sabine Naegeli, Die Nacht voller Sterne