„Es war für uns wie ein Schlag vor den Kopf“, sagt Dechant Wilhelm Müller zur Entlassung von Generalvikar Schüller durch Kardinal Schönborn. Beim Vorsitzenden des Priesterrates gehen seit einer Woche zahlreiche Anrufe und Faxe von empörten Mitbrüdern ein.Am Montag letzter Woche legte Kardinal Schönborn seinem Generalvikar und Wohnungsnachbarn Helmut Schüller den „blauen Brief“ vor die Tür. Am Dienstag gab es hektische Gespräche, bei denen sich Schüller weigerte, einer Kompromißerklärung über sein Ausscheiden zuzustimmen. Er, so Schüller, habe darum gebeten, daß Kardinal Schönborn „ganz klar und deutlich sagen soll, was seine Gründe sind“. Das diene der Wahrheit und der Sache der Kirche sowie dem Bedürfnis der Öffentlichkeit nach Information am ehesten.Am Mittwoch der Vorwoche erhielten zahlreiche Mitarbeiter/innen der Erzdiözese Wien ein von Kardinal Schönborn handschriftlich verfaßtes Eilfax (s. Kasten) zugesandt. Darin bedauert er, daß er Schüller durch seine Vorgangsweise verletzt habe und daß es zwischen Erzbischof und Generalvikar offenbar zu wenig Kommunikation gegeben habe. „Die eigentlichen Gründe der überfallsartigen Entlassung aber blieben weiterhin im dunkeln“, sagt der Vorsitzende des Priesterrates, Dechant Müller aus Mödling. Er habe noch unmittelbar vor diesen Ereignissen Kontakt sowohl mit Schüller als auch mit Schönborn gehabt und dabei auch nicht den leistesten Hinweis vernommen, daß da etwas Gravierendes im Busch wäre.“ Auch wenn es zwischen Schüller und Schönborn zuweilen „Spannungen und ernste Konflikte“ gegeben habe, wie der Kardinal in seinem Faxbrief selber schreibt, „so stellt man doch nicht seinem engsten Mitarbeiter völlig unvorbereitet den Sessel vor die Tür, da redet man doch miteinander, ob und wie die Zusammenarbeit weiterhin möglich ist“, meint Dechant Müller. Auch in der Priesterratssitzung am Donnerstag, bei der Schönborn sein Vorgehen bedauerte, sind die eigentlichen Gründe für die „überhastete Trennung nicht viel klarer geworden“, meint Müller. Der Manager GottesSchüllers Arbeit in der Diözese war nicht unumstritten. Die von ihm über die Köpfe des Klerus hinweg durchgezogene Reform der Priesterbesoldung, seine Pläne zur Neuordnung der Diözesanstruktur und der Finanzen, bei der die Pfarren mehr Geld, aber auch mehr Verantwortung bekommen sollten, sowie sein Konzept für ein modernes Personalmanagement haben in der Diözese manchen Unmut ausgelöst. Vor allem auch die Tatsache, daß viele Weichenstellungen im Stile einer Firmenhierarchie erfolgten, ohne daß sie im Bischofs-, Pastoral- oder Priesterrat ausführlich diskutiert worden wären. „Aber immer, wenn wir dieses Manko angesprochen haben, wurde uns gesagt, daß der Kardinal voll hinter den Plänen des Generalvikars stehe“, heißt es aus dem engsten Kreis der Diözesanleitung. Schüller sei als erfahrener Organisator und als ein Mann, der sich in der Erzdiözese auskennt, von Schönborn geholt worden, um die längst fällige „Innenrenovierung“ der Erzdiözese vorzunehmen. „Er ist dabei vielleicht manch eigenwillige oder zumindest ungewohnte Wege gegangen, aber er war immer äußerst loyal zu Schönborn. Deshalb bin ich sprachlos, wie er verabschiedet wurde. Damit wurde nicht nur ihm unrecht getan, es wurde auch allen möglichen und unmöglichen Gerüchten die Tür geöffnet“, sagt ein Spitzenmann der Kirche.Wege in die ZukunftVersucht man den Hintergrund für Schüllers „Abschied“ auszuloten, so hört man aus verschiedenen Quellen immer wieder zwei Gründe:u Auffassungsunterschiede über die Weichenstellungen für eine effiziente Pastoral der Zukunft. Schönborn setzt vorrangig auf „spirituelle Erneuerung“ und neue geistliche Bewegungen, während Schüller vor allem durch eine Verbesserung von Strukturen und Personaleinsatz eine effizientere, menschennahrere Pastoral erreichen will. Diese unterschiedlichen Ansätze spricht Schönborn in seinen Erklärungen auch an. Zu Spannungen dürfte es auch deswegen gekommen sein, weil Schönborn immer mehr „Movimenti“ in die Diözese hereinholt und diesen auch im verstärkten Maß die Betreuung von Pfarren sowie anderer diözesaner Einrichtungen anvertrauen will. Schüller sei, so heißt es, dieser Entwicklung skeptisch gegenübergestanden. Wie auch der Priesterrat trat er dafür ein, sich diese Orden, Gemeinschaften und Bewegungen sehr genau anzusehen, ehe man sie stärker an die Diözese binde. Ein Thema, das auch bei den künftigen Gesprächen zwischen Kardinal und Priesterrat noch für manchen Zündstoff sorgen wird. „Wir, die wir aus dem Nährboden der Diözese kommen und deren Strukturen kennen – mit all ihren Schwächen und Stärken –, haben da einen andere Sichtweise als der Erbischof, der wenig diözesane Erfahrung, aber eine große persönliche Nähe zu den Movimenti hat.“u Schüller ist als Exponent eines moderaten, aber entschlossenen kirchlichen Reformkurses zunehmend ins Schußfeld geraten. Im Zuge des „Dialoges für Österreich“ ist Schönborn selber von rechtskonservativen Kreisen ins Visier genommen worden. Als einige exponierte Reformgegner nach der Delegiertenversammlung von Salzburg deren Bedeutung und deren Ergebnisse in Frage stellten, ist Schüller mit einer klaren Botschaft in die Öffentlichkeit getreten: Krenn soll sich konstruktiv in den Dialog einklinken oder gehen. Intern sei er dafür von Schönborn gelobt worden, heißt es. Es selbst hat auch immer gesagt, daß er im Einvernehmen mit dem Kardinal handle – auch bei seinen Statements zur Abtreibungsfrage, als er Krenn und Laun die Position „Helfen statt strafen“ entgegenhielt.Es wird aber auch berichtet, daß eine nicht unbedeutende Lobby versucht hat, einen Keil zwischen Schönborn und seinen Generalvikar zu treiben. Man habe sich dabei zunutze gemacht, daß sich Schönborn mit grundsätzlichen Festlegungen schwer- tue und daher auch auf Reformvorschläge, wie etwa das Diakonat der Frau oder die Freigabe des Zölibats, sehr zögerlich reagiert. Schüller hingegen ist theologisch zwar ebenfalls eher konservativ, aber er ist praxisorientiert und entscheidungsfreudig. Daher tritt er – für manche zu – offen für Reformvorschläge ein, die er für sinnvoll und von der Lehre her vertretbar hält, wie z. B. für ein Überdenken des Zölibats, eine Neuorientierung in der Geschiedenenpastoral oder das Diakonat der Frau. „Für viele ist dieser überraschende Abgang Schüllers ein Schlag gegen die moderaten Reformkräfte und den Dialog. Ob das nun wirklich so ist oder nicht, die Vorgangsweise und die magere Begründung führen zu diesem Urteil und zu einer großen Resignation bis hin zum Austritt“, weiß die ehemalige KA-Präsidentin Eva Petrik aus vielen Gesprächen. Zur Person Schüllers:„Er war nicht umsonst von der Wirtschaftsuni einmal zum ,Manager des Jahres‘ gekürt worden. Das war eine besondere Gabe von ihm, das war aber auch eine Eigenschaft, mit der manche in der Kirche nicht zurechtkamen. Sie fühlten sich überfahren.“ So charakterisiert die ehemalige Präsidentin der KA, Eva Petrik, Helmut Schüller. Sie, die wegen Schüllers Diözesanreformplänen, die auch vor der KA nicht haltmachten, manchen Strauß mit ihm ausgefochten hat, schildert ihn aber auch als einen sehr sensiblen Zuhörer, der auf die Sorgen der Basis eingeht. Und sie schätzt ihn als einen Mann, auf den man sich verlassen kann und dem sozial Schwache ein Herzensanliegen sind.Geboren wurde Schüller 1952 in Wien. 1977 wurde er zum Priester geweiht. Nach seiner Tätigkeit als Kaplan und Religionslehrer wurde er 1981 Diözesanjugendseelsorger. Die breite Öffentlichkeit lernte ihn als unerschrockenen und tatkräftigen Direktor und Präsidenten der Caritas (ab 1988) kennen. 1995 wurde er Generalvikar. Sein Weggang von der Caritas fiel ihm schwer. Der Brief SchönbornsLiebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter! Es tut mir sehr leid, daß mein Entschluß, die Leitung des Generalvikariates in nächster Zeit neu zu besetzen, den Medien bekannt war, noch ehe die Betroffenen miteinander in Ruhe zu reden Zeit hatten. Noch mehr tut es mir leid, daß ich durch meine Vorgangsweise in dieser Sache meinen Mitbruder Helmut Schüller verletzt habe, der das nicht verdient hat und den meine Entscheidung allzu unvorbereitet traf. Ich stelle klar: Hinter diesem Entschluß steht keine Weisung von anderswoher.In unserer Zusammenarbeit, in der wir uns in vieler Hinsicht, so glaube ich, gut gegenenseitig ergänzt haben, hat es natürlich Spannungen gegeben, die nicht ausbleiben können. Bisweilen wurden sie zu ernsten Konflikten, die wir zu überwinden bemüht waren. Diese trafen zum Teil die jeweiligen Vorgangsweisen, aber auch Fragen der Prioritäten. In diesen ersten Jahren wurden viele Strukturreformen in Angriff genommen. Zeitweise war alles wie eine große Baustelle. Ich sah und sehe immer wieder die Gefahr, daß wir das zweite vor dem ersten angehen: Unser erster Auftrag ist die Verkündigung, das persönliche und gemeinsame Glaubensleben und seine Erneuerung und Vertiefung. Strukturreformen sind wichtig und notwendig, aber sie stehen im Dienst der Ziele, die heute oft unklar sind. Über unsere Ziele, über das, was uns trägt und Halt gibt im Glauben, möchte ich mit Ihnen allen in den nächsten Wochen sprechen, wenn ich alle Dienststellen besuchen werde.Beide Ämter, das des Erzbischofs und das des Generalvikars, sind mit großen Belastungen verbunden, über die oft die Kommunikation, das einfache menschliche Miteinander zu kurz kommen. Es bedarf leider manchmal erst ernster Krisen, daß diese Mängel bewußt werden. Trotz der Verletzungen werden wir uns bemühen, die Wunden zu heilen und die brüderliche Liebe über alles menschliche Versagen und Nichtgelingen siegen zu lassen. Helfen wir alle einander dazu. Darum bitte ich Sie.KommentarSchiefe Optik oder mehr?Vor laufenden Kameras bekannte am Donnerstag letzter Woche Kardinal Schönborn, daß er bei der Abberufung seines Generalvikars einen Fehler begangen habe. Er habe die Reihenfolge verwechselt und hätte zuerst mit Schüller sprechen sollen, ehe ihm schriftlich die Ablöse mitgeteilt wurde. Er sei eben als Bischof, der zuvor als Ordensmann und Theologe keine Leitungsaufgaben innehatte, noch in einer Lernphase, was die Führung einer Diözese angehe. War die große Aufregung um die Abberufung des Wiener Generalvikars dann doch nur ein Sturm im Wasserglas, entstanden aus einer „schiefen Optik“ um eingestandene Fehler? Die Erklärungen des Kardinals und des Priesterrates nach einer stürmischen Aussprache legen den Schluß nahe, daß es um mehr geht, als um eine unglückliche Hand bei der Verabschiedung eines Mitarbeiters. Ohne die Punkte zu präzisieren, sagte Schönborn, daß es zwischen ihm und Schüller „grundlegende Divergenzen über Methoden und inhaltliche Fragen“ gegeben habe. Daher habe er es für besser gehalten, die Zusammenarbeit zu beenden.Es ist das unbestrittene Recht eines Bischofs, sich seinen engsten Mitarbeiter auszusuchen und ihn zu entlassen. Es darf dann aber auch gefragt werden, ob damit nicht Weichenstellungen getroffen werden. Und das ist im Fall Wien offensichtlich. Schüller ist ein Anhänger der Volkskirche, der auch jene ansprechen will, die nur noch partiell mitleben. Schönborn spricht von einer Wende von der Großkirche zur bekennenden Kirche. Ihm schwebt die kleine, getreue Herde als Kontrastgesellschaft zur heutigen Welt vor. Vieles, was auch in aktiven Pfarren geschieht, ist ihm zu wenig spirituell. Man darf gespannt sein, welchen Weg er – gemeinsam mit dem Priesterrat – für die Zukunft finden wird.