Simon ist acht Jahre alt. Er hat zwei „Papas“. Holger, sein leiblicher Vater, lebt in Deutschland. Mit Mama Gloria und Halbschwester Kathi wächst Simon aber in Oberösterreich auf, bei Sigi, seinem zweiten „Papa“. Gemeinsam sind sie eine von vielen Patchwork-Familien.
Aus der Serie "Familienleben meistern" zur Familiensynode, Teil 1 von 6.
Patchwork klingt so einfach, ist aber harte Arbeit“, lacht Gloria Stummvoll-Engelke. Dass aus der Riesenherausforderung eine glückliche Familie wurde, ist nicht selbstverständlich. Die gebürtige Deutsche weiß, wovon sie spricht. Sie lebte nahe Stuttgart, war gerade geschieden und hatte einen 18 Monate alten Sohn, als ihr Sigi begegnete. „Heute betrachtet kann ich sagen: es war Liebe auf den ersten Blick. Er hatte so etwas Positives in seinen Augen“, schwärmt sie. „Ich habe ihm gleich gesagt, dass ich ein Kind habe und für ihn war das okay.“ „Aber er wohnt so weit weg, war für mich der zweite Gedanke“, erzählt Gloria. Eine Übersiedlung mit dem Kind wurde zwar angedacht, aber zunächst brauchte sie von Holger sein Einverständnis. „Er hat mir versprochen, dass er uns keinen Strick daraus drehen würde“, und bis heute können die Besuchsregelungen immer im besten Einverständnis vereinbart werden.
„Testurlaub“ in Österreich
„Da saß ich nun mit Simon allein im vollgepackten Auto und schon nach wenigen Kilometern fragte er, wann wir endlich da seien. In dem Moment war ich nahe daran, die Nerven wegzuwerfen“, lacht Gloria, wenn sie an die Fahrt in den Probeurlaub denkt. Nach diesen Wochen im August war aber endgültig klar, dass sie und Simon nach Österreich ziehen würden. Bis zur endgültigen Übersiedlung im darauf folgenden Februar gab es noch große Abschiedsfeste im Kindergarten und mit Freunden und Nachbarn.
Alles neu
Es folgte eine Phase der Eingewöhnung für die junge Mutter und ihren Sohn. „Familie und Freunde wollten uns kennenlernen und waren auch total nett. Aber als Paar hatten wir wirklich wenig Zeit für uns. Für mich war das alles anfänglich purer Stress. Und natürlich funktioniert ein Kind in dieser Situation nicht immer. Ich musste ständig für uns beide denken. Da bekommt man schon mal einen Knoten im Kopf.“ Auch Simon hat diese Zeit enorm viel Kraft gekostet, ist Gloria sicher. Er vermisste natürlich seine alte Umgebung. Es waren aber auch vermeintliche Kleinigkeiten, etwa seine Lieblingsspeise, Maultaschen, die er hier vorerst nicht bekam, weil man sie nicht kennt. Bei der Erziehung hatte sich der neue Partner vorerst nicht eingemischt. „Sigi ist erst langsam in die neue Rolle hineingewachsen. Vielleicht hat Simon deshalb auch nie gesagt: ,Du hast mir gar nix zu sagen!‘“
Wie nennt man sich?
„Ich glaube, mir hat es viel mehr Kopfzerbrechen bereitet, wer wie benannt wurde als Simon. Er hat das einfach nach Gefühl gemacht“, erinnert sich Gloria. Zunächst gab es Papa und Sigi, dann waren es Holger und Sigi, später Papa und Papa Sigi. Und ähnlich kunterbunt würfelte er die Benennungen der Großeltern durcheinander. Auch bei den Papa-Besuchen gab es schon oft Veränderungen. Geburtstage, Weihnachten, Urlaube, der erste Schultag von Simon – alles wird zum Thema, wenn der Vater ein paar Hundert Kilometer entfernt wohnt. Es war und ist ein ständiges Reden und Planen, damit es funktioniert. So gut es geht richtet man sich dabei nach den Bedürfnissen von Simon. „Alle Besuche bedeuten eine Fahrt von drei Stunden in einer Richtung. Dafür hat Simon zu seinem Papa ein gutes Verhältnis. Diese Bezugsperson wollten wir ihm keinesfalls wegnehmen.“ Gut, dass auch die beiden Männer kein Problem miteinander haben, dafür ist Gloria dankbar.
Mehr Geschenke
„Das Fahren ist ein bissl stressig, aber ich besuche meinen Papa gern. Zum Geburtstag und zu Weihnachten bekomme ich mehr Geschenke“, kommentiert der junge Mann die Sache sehr pragmatisch. „Natürlich versuchen wir, das bei Kathi auszugleichen. Sie ist jetzt vier Jahre alt. Wie sich alles entwickeln wird, wenn sie älter ist, wissen wir nicht.“ Gloria lässt es auf sich zukommen und blickt optimistisch in die Zukunft.
Familiensynode
Er wisse aus eigener Erfahrung, dass es auch in Patchwork-Familien viel Heil und viel Großzügigkeit gebe, sagte der Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn, vor Journalisten im heurigen Juni. Er erwarte sich diesbezüglich aber von der Synode keine „oberflächliche Lösungen, die viel Applaus bekommen.“ Auch wenn der Begriff „Patchwork-Familie“ so im Arbeitspapier der diesjährigen Synode nicht vorkommt (wohl ist von einem „neugebildeten familiären Umfeld“ die Rede), ist klar, dass viele Themen dort Patchwork-Familien betreffen (können): Trennung, Wiederverheiratung, die Sorge um Kinder ...
Patchwork-Familien
Als Patchwork-Familien gelten Familien, in denen zumindest ein Elternteil ein oder mehrere Kinder aus einer anderen Beziehung „mitbringt“. Das kann auf nie verheiratete Paare genauso zutreffen wie auf wiederverheiratete Geschiedene oder auch auf Menschen, deren erster Ehepartner gestorben ist. In den Synodendokumenten ist klar, dass die Sorge der Kirche natürlich nicht nur jenen gilt, welche die kirchliche Idealform der Familie leben, sondern allen, die Hilfe benötigen. Es geht hier um einen realistischen Blick. Schon im Arbeitsdokument der Synode 2014 hatte es geheißen, es wachse die Zahl der „erweiterten“ Familien, welche vor allem „durch das Vorhandensein von Kindern von verschiedenen Partnern zustande kommen.“ In seinem Vortrag „Das Evangelium von der Familie“ aus dem Jahr 2014 hatte Kardinal Walter Kasper geschrieben, viele verlassene Partner seien um der Kinder willen auf eine neue Partnerschaft und eine neue, zivile Eheschließung angewiesen.