Derzeit gibt es mehr als 40 bewaffnete Konflikte auf der Welt, sagt der Friedensforscher Maximilian Lakitsch. Neutrale Staaten können viel zur friedlichen Lösungen beitragen. Österreich fehle dabei aber eine richtige Strategie.
Ausgabe: 2015/38, Flüchtlinge, Konflikt, Lakitsch, Errormiliz, Syrien, IS
15.09.2015 - Susanne Huber
Welche Maßnahmen und Strategien gibt es, um Konflikte zu lösen? Maximilian Lakitsch: Das ist bei jedem Konflikt anders. Erfahrungsgemäß dauert es etwa 20 Jahre, bis ein Konflikt so beigelegt ist, dass er nicht wieder aufflammt und er bis in die Wurzeln der betroffenen Gesellschaft bereinigt ist. Dazu gibt es unterschiedliche Phasen wie die Konfliktintervention, bei der die Kämpfe eingestellt werden. Diese Intervention ist nicht notwendigerweise eine militärische, sondern in der Regel eine diplomatische. Der erste Schritt zur Beendigung von Kampfhandlungen erfolgt häufig von außen, vorwiegend ist es die UNO, die hier aktiv wird; oft sind es auch ein bis zwei vor allem neutrale Staaten, die sich hervortun wie Norwegen oder die Schweiz.
Und Österreich? Maximilian Lakitsch: Österreich könnte sicherlich viel mehr tun. Hier mangelt es an finanziellen Mitteln und an einer Gesamtstrategie. Wenn wir uns die Phasen der Konfliktlösung genau ansehen wird deutlich, dass ab dem Zeitpunkt, an dem die bewaffneten Kämpfe eingestellt werden, auch die internationale Wahrnehmung des Konflikts schwindet. In weiterer Folge verliert auch die internationale Staatengemeinschaft tendenziell das Interesse daran und es fließt weniger Geld. In dieser kritischen Phase muss man daran gehen, das Verhältnis zwischen den Konfliktparteien zu klären, sich die Hintergründe des Konflikts wie kulturelle Differenzen anzusehen und die Ursachen zu bekämpfen. Da sind wir in einem Zeitrahmen von fünf Jahren. Danach schreitet man von Ebene zu Ebene zurück, bis man die gesamtgesellschaftliche Ebene erreicht, bereinigt und geheilt hat. Das dauert bis zu 20 Jahre.
Seit dem 11. September 2001 nehmen religiöse Konflikte zu. Was sind die Ursachen? Maximilian Lakitsch: Meistens beginnen sie als soziale Konflikte. Dahinter steht in der Regel die Diskriminierung einer Gruppe innerhalb einer Bevölkerung, das heißt, dass die Staatsmacht die Ressourcen nicht gleich an alle Gesellschaftsmitglieder verteilt, sondern mindestens eine oder zwei Gruppen davon ausschließt. Wenn ab irgendeinem Zeitpunkt diese Minderheitengruppe realisiert, dass sie unterdrückt wird, ihren Unmut kundtut und die Regierung nichts dagegen tut, kann es sein, dass die Lage eskaliert und es zu einem bewaffneten Konflikt kommt, der sich dann ausdrückt über die Gemeinsamkeit der diskriminierten Gruppe.
Wie sieht das in der Realität aus? Maximilian Lakitsch: Nehmen wir als Beispiel den Irak, dort sind die Sunniten in der Minderheit und die schiitische Regierung berechtigt diese Gruppe nicht gleichermaßen wie die schiitische Mehrheit. Das hat zur Folge, dass die sunnitische Gruppe rebelliert. Und dieser Konflikt drückt sich dann religiös aus, obwohl die Ursachen im sozialen Bereich liegen. Weist ein solcher sozialer Konflikt religiöse Elemente auf, desto bestimmender wird dieser Faktor erfahrungsgemäß mit fortschreitender Zeit.
Werden bei Konfliktlösungen auch religiöse Würdenträger mit einbezogen? Maximilian Lakitsch: Ja, und sie sind besonders wichtig, denn wenn Religion im Spiel ist, werden die gängigen rationalen Gesetzmäßigkeiten des diplomatischen Verhandelns – du gibst mir zwei Häuser von da, dafür bekommst du zwei Häuser von dort – außer Kraft gesetzt, weil der religiös Glaubende nicht einfach auf für ihn Wichtiges wie das Transzendente oder das Paradies als Versprechung nach dem Sieg verzichtet, um andere Dinge zu bekommen. Das große Problem bei der Konfliktlösung ist in Folge, dass die Dimension der Religion oft nicht ernst genommen und ignoriert wird und man nicht auf die Bedürfnisse der Beteiligten eingeht. Deshalb ist es ganz wesentlich, mit religiösen Würdenträgern zu kommunizieren und sie in diplomatische Friedensinitiativen mit einzubeziehen, weil sie die Sorgen und Nöte der Menschen, die unmittelbar von den Auseinandersetzungen betroffen sind, kennen. Sie treten als Verhandler, als Schlichter, als Respektspersonen auf. Kirchliche Gemeinden bieten in Projekten außerdem oft humanitäre Nothilfe und Unterstützung an.
Wieso konnte die Terrormiliz Islamischer Staat, die in Gebieten des Irak, Syriens und in Regionen Libyens wüten, so stark werden? Maximilian Lakitsch: Die Ursache, dass es die IS-Miliz gibt, liegt in einer jahrzehntelangen fehlgeleiteten und fehlgeschlagenen Politik der internationalen Staatengemeinschaft. Man könnte sagen, dass man mit den Konflikten der letzten 25 Jahre, die mehr oder weniger unzufriedenstellend oder nur halb gelöst worden sind, ein Monster geschaffen hat. Die IS-Miliz hätte nie so stark werden können, wenn sich im irakischen Widerstand 2003 die sunnitischen Stämme nicht verbündet hätten mit der – damals noch – al-Qaida. Dazu bekamen sie Unterstützung und das Know-how von der ehemaligen Baath-Partei, den Militärs und den Ex-Geheimdienstoffizieren im Irak – allesamt Sunniten. Das ist ein Grund, warum die schiitische irakische Regierung großes Misstrauen gegenüber den Sunniten hegt. Der ursprüngliche Grund, warum Sunniten und Schiiten so auseinandergetrieben wurden, hängt mit den westlichen Sanktionen gegen Saddam Hussein und gegen das irakische Massenvernichtungs- und Atomprogramm zusammen. Der Irak war ja in den 70er und 80er Jahren ein moderner Staat, der durch diese Sanktionen zerstört und dessen Gesellschaft dadurch auseinandergerissen worden ist, das muss man ganz klar sagen. Ein weiterer Hintergrund ist, dass die Amerikaner seit 2013 wussten, dass eine Miliz im Entstehen ist, die das Potential hat, wirklich stark zu werden. Sie haben das aber passieren lassen, weil sie hofften, dass sie den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad stürzen können. Daran, dass das solch rigorose Ausmaße annimmt, hat sicher keiner gedacht.
Wie kann nun gegen den IS vorgegangen werden? Maximilian Lakitsch: Das ist schwierig zu sagen. Die Maßnahmen, zu denen die IS-Miliz greift, sind äußerst brutal und deshalb ist es kaum vorstellbar, dass das ohne eine militärischen Intervention vonstatten geht. Wenn es dazu kommt, ist wichtig, dass man die nächsten Phasen in der Konfliktbearbeitung ernst nimmt und politische Maßnahmen, Versöhnungs- und Antidiskriminierungsmaßnahmen so lang durchführt, dass es den Kern des Problems behandelt.
Wie sehen diese Versöhnungsmaßnahmen aus? Maximilian Lakitsch: Das sind oft Workshops, wo Leute, die beteiligt waren an Verbrechen von beiden Seiten, miteinander reden. Hier ist entscheidend, Experten, Mediatoren heranzuziehen, die das optimal durchführen und leiten. In diesen Workshops wird alles auf den Tisch gelegt. Wir hatten in der Friedensburg Schlaining einen Mann aus einer serbischen NGO, der einen Workshop mit Serben und Bosniaken durchführte. Er erzählte, er wollte einen ehemaligen serbischen Offizier schon aus der Gruppe rausnehmen, weil er das Massaker von Srebrenica verleugnete. Seine Kollegen drängten ihn jedoch, das nicht zu tun. Im Laufe des Workshops kam es schließlich zu einer wundersamen Umkehrung dieses Ex-Offiziers, der dann im vergangenen Jahr sogar nach Srebrenica gepilgert ist und sich seither einsetzt für Versöhnungsmaßnahmen. Ganz wesentlich ist bei Friedens- und Konfliktlösungsinitiativen deshalb, dass man die authentischen Meinungen auf den Tisch bringt, nichts verheimlicht, sondern wirklich gnadenlos ehrlich ist.