Es gehört zur christlichen Identität, Sündenbockmechanismen zu entlarven, zu kritisieren und zu verhindern.
Aus der Serie ArbeitsLeben von Univ. Prof. Dr. Ansgar Kreutzer, Professor für Fundamentaltheologie an der Katholischen Privat-Universität Linz. Teil 3 von 4.
Ausgabe: 2015/38, arbeitslos, Sündenbock
15.09.2015 - Univ.-Prof. Dr. Ansgar Kreutzer
Wissenschaftler/innen aus Berlin haben bereits im Jahr 2001 eine interessante Untersuchung unter dem Titel „Faule Arbeitslose?“ angestellt. Sie halten darin fest, dass immer dann, wenn die Wirtschaft lahmt und Wahlen vor der Tür stehen, das Image arbeitsloser Menschen besonders leidet. Arbeitslose werden in diesen Zeiten häufig der Faulheit bezichtigt. Die Forscher/innen vermuten dahinter einen Sündenbockmechanismus: Die Arbeitslosen müssten als „Sündenböcke“ für eine zum Teil verfehlte Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik herhalten.
Bibel
Der „Sündenbock“ ist ursprünglich eine biblische Figur. Im Buch Levitikus des Alten Testaments, im 16. Kapitel, wird eine Kulthandlung beschrieben: Einem Opfertier, einem Ziegenbock, werden durch Handauflegung die Sünden des Volkes übertragen. Dann wird das Tier in die Wüste gejagt. Die Bildsprache des Ritus ist eindeutig. Sie steht Pate, wenn einzelne Menschen für strukturelle Probleme verantwortlich gemacht werden. Sündenbockmechanismen, zum Beispiel die pauschale Verdächtigung, dass Arbeitslose faul sind und an ihrem Schicksal selbst die Schuld tragen, passen freilich zu unserer individualistischen Gesellschaft. Denn wenn gilt: „Jeder ist seines Glückes Schmied!“, trifft auch die Kehrseite der Aussage zu: „… und an seinem Unglück selber schuld!“
Christus
Die kirchliche Sozialverkündigung verwehrt sich gegen eine solche Sicht. Im Kompendium der katholischen Soziallehre wird Arbeitslosigkeit als „sozialer Notstand“ angesehen, der vor allem Leiden für die Betroffenen bedeutet. Das Sozialwort des Ökumenischen Rates in Österreich spricht von Erwerbslosigkeit als „schwerem Los“. Und das Sozialwort der deutschen Kirchen „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ weist die Sicht, Arbeitslosigkeit beruhe auf individuellem Versagen als „weitverbreitetes Vorurteil“ zurück und bezeichnet sie als „gesamtwirtschaftliches Problem“. Christinnen und Christen sind aus ihrem Glauben heraus sensibel für ungerechte Sündenbockmechanismen. Denn im Zentrum ihres Glaubens steht mit Jesus Christus einer, der selbst als Sündenbock herhalten musste, ungerecht gelitten hat, ja sogar zu Tode gebracht wurde. Es gehört zur christlichen Identität, Sündenbockmechanismen zu entlarven, zu kritisieren und zu verhindern.