Vor 70 Jahren – am 28. Oktober 1945 – erschien die erste Ausgabe der KirchenZeitung. Wie sehr die Not damals zu spüren war, geht aus dem Reisebericht des Flugfeldpfarrers P. Alexander Berdendick hervor. Er brach zu Ostern 1946 nach Oberösterreich auf, um die in Kallham untergebrachten Kinder seiner Pfarre zu besuchen.
Ausgabe: 2015/42, Berdendick, Kirchenblatt
14.10.2015
An all die tausende Pflegeeltern im Bistum Linz!
Der diese Zeilen an Euch richtet, ist der Pfarrer der Flugfeldpfarre in Wiener-Neustadt, der zerbombtesten Pfarre Österreichs. (...) Gründonnerstag, halb 5 Uhr früh, bin ich von Wiener-Neustadt weg. Wie es dort ausschaut, möchtet Ihr wissen? Auf Wiener-Neustadt wurden in den Fliegerangriffen 24.000 Sprengbomben und 4000 Brandbomben abgeworfen. Jüngst bei einer Konferenz über den Wiederaufbau der Städte sagte der Vertreter von Wiener-Neustadt, Baudirektor Louda: Bei Wiener-Neustadt handelt es sich nicht wie bei anderen Städten um einen Wiederaufbau, sondern um einen Neuaufbau. (...) Von den 4000 Häusern sind nur achtzehn unbeschädigt geblieben! Rund um meine Pfarrkirche auf dem Flugfeld ist ein einziger Trümmerhaufen, Häuserruinen, zertrümmerte Flugzeuge – es wäre ein ungeheuer romantisches Bild für einen Filmregisseur. Die Kirche ist wie durch ein Wunder geblieben. Inmitten lauter Zieltreffer haben die Alliierten die Kirche verschont. Das große Werftgebäude bei der Kirche, in dem die Katholische Aktion der Flugfeldpfarre mit Kindergarten und Hortlokalen untergebracht war, ist total zerbombt. Wo der Flugfeldpfarrer wohnt? Du wirst mich bei einem Besuch schwer finden. Nur ganz Ortskundige finden mich. Zehn Minuten von der Kirche, in einem Schrebergarten, neben einem Kaninchenstall bin ich in Untermiete. Essen einmal im Tag aus der Volksküche. Sonntag gibt’s keine Volksküche, da sind wir vom Essen dispensiert. Karfreitag strengster Fasttag also, das ganze Jahr, hindurch. Aber es war ja immer schon der Traum meines jungen Lebens, gefährlich zu leben. Du fragst: Ja aber da verhungert man ja bei lebendigem Leibe! Jetzt Spaß beiseite: ist auch schon vorgekommen. Vor Weihnachten kamen Mütter ins Rathaus und baten um Gift, weil sie den Heiligen Abend mit den Kindern in den Freitod gehen wollten, um das Elend der Kinder nicht mehr ansehen zu müssen. Längst gehfähige Kinder mußten von den Eltern getragen werden, weil sie ganz entkräftet waren. Das sind alles Tatsachen (...). Gründonnerstag, halb 7 Uhr früh, bin ich von Wiener-Neustadt in Wien angekommen. Menschenschlangen vor den Fahrkartenkassen am Westbahnhof. Zu meinem Schrecken erfahre ich, dass mein Linzer Zug ausverkauft ist. Mit Rücksicht auf den Zweck meiner Reise erhalte ich doch noch eine Karte. ½ 9 Uhr fährt der Zug durchs blühende österreichische Land. Ein herrlicher Frühlingstag. Man meint, es wäre Pfingsten statt Ostern, so weit ist die Baumblüte bereits fortgeschritten. (...) Bei der Demarkationslinie an der Ennsbrücke der unvermeidlich lange Aufenthalt. Russische Kontrolle der Identitätskarte und alliierten Reiseerlaubnis. Amerikanische Kontrolle. Dann die Entlausungsspritze. Kragen auf und hinein mit dem Pulver. Ein mitfahrender Fachmann macht mich aufmerksam, daß dieses amerikanische Pulver das beste in seiner Art ist. Fahrt über die Brücke. Wir sind im sogenannten goldenen Westen. Ein Reisegenosse bemerkt launig: Die Brücke zwischen Orient und Okzident. Mir fällt Goethes Wort ein: „Gottes ist der Orient, Gottes ist der Okzident.“
Erschienen am 19. Mai 1946. Die KirchenZeitung hieß damals „Linzer Kirchenblatt“.