Ältere Menschen in unseren Gemeinden werden sich noch daran erinnern, dass es in der katholischen Kirche bis zum II. Vatikanischen Konzil nicht üblich war, diese „Doxologie“ (= Lobpreis auf die Herrlichkeit Gottes) am Ende des Vaterunsers zu sprechen. Ja, es war sogar so, dass diese Schlussformel als Unterscheidungsmerkmal zwischen katholischen und evangelischen Christen angesehen wurde.
Wie ist es dazu gekommen?
Im Judentum war es ein fester Brauch, alle Gebete mit einem Lobpreis auf die Herrlichkeit Gottes abzuschließen. So war es auch zur Zeit Jesu. Von dieser allgemeinen Gebetspraxis her ist gut verständlich, dass auch in den christlichen Gemeinden diese fromme Praxis übernommen wurde. Bereits aus dem zweiten Jahrhundert ist uns ein gottesdienstlicher Text überliefert, in dem es am Ende des Vaterunsers heißt: „Denn dein ist die Macht und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“In den östlichen Kirchen ist es alter Brauch, einen derartigen Lobpreis am Ende des Vaterunsers zu sprechen, in der westlichen Kirche ist er wieder untergegangen. Martin Luther hat für seine Bibelübersetzung eine für die damalige Zeit hochwissenschaftliche Ausgabe des griechischen Neuen Testamentes durch Erasmus von Rotterdam verwendet, in welcher dieser lobpreisende Abschluss des Herrengebetes im Evangelientext selbst geschrieben stand, obwohl er in den ältesten Handschriften des Neuen Testamentes fehlt. Evangelische Christen haben diese Doxologie zunächst beim privaten Gebet, später auch in ihren gottesdienstlichen Feiern gesprochen.
Das II. Vatikanische Konzil hat wieder auf die altkirchliche Praxis zurückgegriffen und den christlichen Gemeinden empfohlen, am Ende des Vaterunsers sowohl beim privaten wie auch beim öffentlichen Beten im Gottesdienst diesen Lobpreis zu sprechen.
Schlussakkord des Betens
Im Stundengebet wird jeder Psalm mit einem „Ehre sei dem Vater“ beendet, auch bei vielen anderen Gelegenheiten wird das Beten der Gemeinde mit diesem Lobpreis auf den dreifaltigen Gott beschlossen. Indem man in diesen Lobpreis einstimmt, reiht man sich in den Chor all jener ein, die erfahren haben, dass unser Beten nicht ins Leere geht, sondern Verbindung schenkt mit jenem Gott, der uns in Jesus Christus begegnet ist. In ähnlicher Weise stimmen wir am Ende des Vaterunsers in den Lobpreis „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“ ein, denn das ist die Erfahrung, die jenen Menschen zuteil wurde, die das Vaterunser zu „ihrem“ Gebet gemacht haben.„Euch aber muss es zuerst um sein Reich und seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben“ (Mt 6, 33). Wer sich auf die „Reichtümer Gottes“ einlässt, wer umkehrt und das Programm der Bergpredigt in sein Leben aufnimmt, der kann die Erfahrung machen, dass es dabei um himmlische Schätze geht, die weder von Motte noch von Wurm zerstört werden können und die einem von niemandem mehr genommen werden können (vgl. Mt 6, 20).
Vertrauen auf Gottes Macht
Immer wieder haben Christen die Erfahrung gemacht, dass Gott dort noch längst nicht am Ende ist, wo wir am Ende sind. So singen die christlichen Gemeinden: „Wer nur den lieben Gott lässt walten und hoffet auf ihn alle Zeit, den wird er wunderbar erhalten in aller Not und Traurigkeit.“Die „Herrlichkeit Gottes“, die wir zum Abschluss des Vaterunsers preisen, ist jenes Licht, das Jesus am Berg der Verklärung verwandelt hat und das auch uns einst verwandeln wird. Was Paulus an die Gemeinde von Philippi schreibt, das gilt auch uns: „Unsere Heimat aber ist im Himmel. Von dort her erwarten wir auch Jesus Christus, den Herrn, als Retter, der unseren armseligen Leib verwandeln wird in die Gestalt seines verherrlichten Leibes“ (Phil 3, 20–21).
Impuls für die Woche
– Ich frage mich, welche Vaterunserbitte mir inzwischen besonders kostbar geworden ist. – Ich nehme mir vor, in den kommenden Wochen täglich ein Vaterunser zu beten und in seiner Großartigkeit zu verkosten. – In einer stillen Stunde möchte ich mir die Frage stellen, inwiefern das Vaterunser für mich zu einer wirklichen Gebets- und Lebensschule geworden ist.
Das Buch zur Serie: Klaus Egger, Das Vaterunser – Mitte gemeinsamen Christseins, 110 Seiten, Tyrolia-Verlag, S 150,–, e 10,90