Maria Schmuckermair aus Puchenau ist vor drei Jahren auf Feldpost ihrer sechs Onkel aufmerksam geworden, die diese aus dem Zweiten Weltkrieg an die Familie daheim geschrieben haben. 600 Briefe hat sie ausgewertet und dokumentiert. Am 24. Februar wird sie im Pfarrsaal Puchenau darüber einen Vortrag halten.
„Ich weiß zwar nicht, ob ihr euch über diese Schilderung auch ein richtiges Bild und eine richtige Vorstellung machen könnt“, schreibt Ignaz Hannl am 26. Februar 1942 von der Ostfront an seinen Vater und die Geschwister daheim. Sein Zweifel ist verständlich: Wie soll man sich auch vorstellen können, was es heißt, bei bis zu 30 Minus-Graden tagelang in Stellungsgräben auf Posten zu sein? Wie, dass man sich mit einem Behelfsofen abfinden muss, an dem sich die durchgefrorenen Soldaten in einer Stunde nur ein bisschen wieder aufwärmen konnten? Wie, was es heißt, zehn Tage lang keine drei Stunden zu schlafen; niemand durfte die Stiefel während dieser Zeit ausziehen, „man muss ja immer bereit sein, denn jederzeit kann gerechnet werden, dass die Russen kommen ...“.
Drei tote Söhne
Ein Foto der Familie Hannl aus Katsdorf, Pfarrzugehörigkeit Ried in der Riedmark, aus dem Jahr 1925: Sechs Söhne, vier Töchter und die Eltern sind darauf zu sehen. Zwei Jahrzehnte später sind drei Söhne tot; einer ist gefallen, einer vermisst, einer im Lazarett gestorben. Auch die Mutter lebt nicht mehr, sie ist – schon 1941 – „an gebrochenem Herzen“ gestorben, wie eine Schwester ihrem Bruder Franz an der Front schreibt.
Die Wucht der persönlichen Nähe
Die Briefe von der Front waren unbeachtet auf Dachböden aufbewahrt. Durch Zufall wurde Maria Schmuckermair, pensionierte Gymnasialprofessorin für Geschichte und Deutsch, auf sie aufmerksam. Aus dem ersten Interesse wurde eine zeit-intensive Befassung mit dem Thema: Die Briefe waren zunächst mühsam zu lesen; sie sind in Kurrentschrift abgefasst. Viele Jahre hat Maria Schmuckermair zum Krieg und zur NS-Zeit unterrichtet. Deshalb waren ihr die in den Briefen geschilderten Ereignisse nicht unbekannt. Doch sie zu lesen, „war heftig – aus dieser Nähe, aus persönlichen Dokumenten heraus. Die konkreten Schicksale, das ist etwas anderes. Es entfaltet eine ganz andere Wucht!“
Plattingerverein
Von dieser Wucht erfasst, las sich die Historikerin durch 600 Feldpost-Briefe ihrer Onkel. Auch ein paar Briefe aus der Heimat, von ihnen nach Hause wieder mitgenommen, waren im Briefberg. Die Brüder schrieben zurückhaltend, die Zensur war streng. Doch klingen Angst, Entbehrung, Mitleid, aber auch Geringachtung der feindlichen Truppen, Verzweiflung und Schicksalsergebenheit durch. Ein Beispiel für „kein Blatt vor dem Mund“ ist eine Passage aus einem Brief des jüngsten Sohnes Robert. Er hätte Priester werden wollen, starb aber im Februar 1945 im Lazarett. Im Februar 1943 schrieb er aus Znaim, wo er für die Front ausgebildet wurde: „Die Kameraden sind zum Großteil aus Linz und Umgebung. Ich finde mir aber keinen richtigen Spezi. Die meisten waren schon beim Arbeitsdienst und haben die richtige Vorbildung für diesen Plattingerverein ...“
Maultrommel
Drei der sechs Brüder sind gefallen. Die drei überlebenden hat Maria noch persönlich kennengelernt. Einer von ihnen war Ignaz. „Was der mitgemacht hat, war mir nicht bewusst.“ Gesprochen über die Kriegszeit wurde kaum. Mit der Kenntnis seiner Briefe färbt sich die Erinnerung an Onkel Ignaz anders. „Wir haben ihn schrullig erlebt. Er holte dann und wann seine Maultrommel hervor und spielte sie.“ Maria wusste damals nicht, als sich diese Eindrücke in ihr sammelten, was Ignaz, der lange in Russland und mehr als fünf Jahre im Krieg war, mitgemacht hat: Strapazen, Gefahren, Kälte (siehe Briefauszug links unten, „übersetzt“ in die lateinische Schrift am Beginn des Artikels). „Was wird ihm wohl das bisserl Musik mit der kleinen Maultrommel in seiner Umgebung bedeutet haben?“, fragt sie jetzt. Auch wenn sie in Russland an der Front waren, trafen einander die Brüder nie. Nur Ignaz und Franz hätten sich beinahe sehen können. Franz und Ignaz schrieben Briefe, aus denen hervorgeht, dass sie sich nur um einen halben Tag verpasst haben, ohne davon gewusst zu haben. Franz ist später in Stalingrad vermisst, Ignaz hat wie Alois und Michael den Krieg überlebt.
Ums Glück beraubt
Erschüttert ist Maria Schmuckermair von der Hilflosigkeit, dem Ausgeliefertsein und der totalen Ohnmacht, die sich aus den Briefen herauslesen lässt. Es war das Gefühl einer Generation damals und es ist das Gefühl vieler heute in anderen Ecken dieser Welt. Manche Brief-Passagen der Feldpost sind Versuche, diese Ohnmacht zu kaschieren: „... macht euch keine Sorgen ... ich bin bisher noch überall gut durchgekommen ... es ist nicht so schlimm ...“ So wollten die Frontsoldaten die Familie daheim beruhigen. „Es waren junge Menschen, die glücklich sein, eine Familie gründen und den Beruf ausüben wollten. Aber sie hatten keine Chance, mussten in den Krieg“, resümiert Maria Schmuckermair. Gleiches gilt heute für die junge Generation in den Krisenregionen. Als Flüchtlinge kommen viele von ihnen zu uns.
Termin
„Wir sind nur arme Erdwürmer“. Dieser Satz aus einem der 600 Feldpostbriefe, die Maria Schmuckermair ausgewertet hat, ist Titel einer Veranstaltung am Mittwoch, 24. Februar, 20 Uhr, im Pfarrsaal Puchenau bei Linz. Maria Schmuckermair erläutert die historischen Hintergründe; das Schauspielerehepaar Nora Dirisamer und Joachim Rathke liest Passagen aus den Briefen.
- Eine Veranstaltung des Katholischen Bildungswerkes Puchenau. Unkostenbeitrag: Erwachsene € 6,–, Schüler/innen € 3,–.