Zuerst hatte sie ein wenig Angst, als sie hörte, dass 25 Flüchtlinge nebenan einziehen. Heute bringt die 90-jährige Hilde Glas den Kindern ihrer neuen Nachbarn Deutsch bei. Es macht ihr richtig viel Spaß.
Ausgabe: 2016/13, Flüchtlinge, Glas, Raab
29.03.2016 - Paul Stütz
Lehrerin, das war der Traumberuf von Hilde Glas, das ist ihre Gabe. Viele Jahre lang unterrichtete sie in der Volksschule Raab. Nun ist sie, die mit 90 Jahren schon lange in Pension ist, seit wenigen Monaten wieder Lehrerin. Mehrere Flüchtlingskinder kommen fünf Mal in der Woche in ihre Wohnung, um zu lernen. Unterstützt wird Hilde Glas dabei von ihrer ehemaligen Kollegin, Volksschuldirektorin Grete Berger. Sie wiederholen mit ihren Schützlingen das in der Schule Erlernte, helfen bei den Hausübungen, vor allem Deutsch und Mathe. „Mich freut es so, wenn die Kinder wieder etwas Neues können“, schwärmt Hilde Glas. Nach dem Lernen wird ausgiebig gespielt. „Sie laufen durch die ganze Wohnung“, lacht Hilde Glas, die ihre neue Aufgabe liebt: „Im Prinzip mache ich das Gleiche wie früher. Die Kinder spüren, dass ich sie mag. Darum bin ich Lehrerin geworden.“
Flüchtlinge als neue Nachbarn
Ihre Schüler gehören zu den insgesamt 25 Asylwerbern aus dem Irak, Iran und Afghanistan, die im November das Sparkassengebäude in Raab bezogen haben. Sie sind die neuen Nachbarn von Hilde Glas, die seit über 65 Jahren in der gleichen Wohnung lebt. „Ich war vorher zwei Jahre lang allein in dem großen Gebäude. Ich bin froh, dass ich jetzt wieder Gesellschaft habe“, erzählt sie. Eine Offenheit für Neues hatte Hilde Glas wohl schon immer. Mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann hat sie viele Reisen unternommen. Sie haben alle Kontinente besucht, waren unter anderem auch im Iran. Wenn sie den Flüchtlingen diese alten Urlaubbilder zeigt, löst sie damit eine Mischung aus Freude und Wehmut aus.
Ängste schnell aufgelöst
Vor Ankunft der Asylwerber in Raab habe sie leichte Zweifel gehabt, gibt Hilde Glas zu. „Die Ungewissheit und die Ängste haben sich dann vom ersten Tag an aufgelöst“, sagt sie. Durch Herzlichkeit und Humor auf beiden Seiten ist ein freundschaftlicher Kontakt entstanden. „Wir wissen, dass wir uns mögen und uns sympathisch sind“, sagt Hilde Glas. An den Asylwerbern schätzt sie besonders ihre Höflichkeit und Gastfreundschaft: „Wenn ich zu ihnen in die Wohnung komme, bieten sie mir immer zumindest ein Glas Wasser an.“ Für die Flüchtlinge ist die 90-Jährige Respektsperson und Familienmitglied zugleich: „Sie sagen Mami zu mir. Es ist ein gutes Gefühl, gebraucht zu werden“, freut sich Glas. Zu ihrem 90. Geburtstag im Dezember haben sie die Flüchtlinge bekocht, mit ihr gefeiert und getanzt. Sichtlich gerührt erzählt sie, wie ihr eine der Flüchtlingsfrauen anvertraut hat: „Hilde, du gehörst zu den Menschen, die ich nie vergessen werde.“
Erinnerungen an Zweiten Weltkrieg
Helfen ist für die pensionierte Lehrerin eine Selbstverständlichkeit. Eigentlich ist es ihr ein wenig suspekt, dass so viel Aufhebens um ihre Person gemacht wird. Es stimme ja, sie sei mit 90 schon im fortgeschrittenen Alter. Ansonsten sei ihr Engagement aber gar nicht so besonders, befindet sie: „Es gibt so viele Helden in der Arbeit mit Asylwerbern, die sind wirklich erwähnenswert.“ Hilde Glas zeigt auf die Zeitungsberichte, die von ihrer Flüchtlingshilfe erzählen, sie hat sie auf ihrem Wohnzimmertisch ausgebreitet: „Die ganzen Lobreden auf mich. Dabei sitze ich im Warmen, während die armen Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen im Regen festsitzen.“ Für Hilde Glas ist jedenfalls klar, dass niemand seine Heimat leichtfertig verlässt. Die Bilder von den Flüchtlingen lassen sie an die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg denken. „Furchtbar, wie alles nach den Bombenangriffen zerstört war.“ An ein weiteres Detail kann sie sich ebenso gut erinnern: „Damals nach dem Krieg musste jeder Flüchtlinge bei sich zu Hause aufnehmen.“