Radiohören ist eine wunderbare Sache. Putzen oder Reparieren vergeht wie im Flug, wenn das Programm das bietet, was der eigenen Stimmung entgegenkommt. Die Tätigkeit wird aber schleppend, wenn es einen empfindlichen Nerv trifft. Ein Unter Uns von Christine Grüll.
Ausgabe: 2016/14
06.04.2016 - Christine Grüll
Ich war gerade dabei, den Berg zerknitterter Wäsche in einen Berg gebügelter Wäsche zu verwandeln. Aus dem Radio kamen flotte Melodien. Da sang eine junge Frauenstimme ein Lied namens „Testament“. Die Sängerin dachte darüber nach, dass sie auch einmal ein Kind gewesen ist und dann so wurde, wie Erwachsene sein sollen. Da hat sie gemerkt, dass ihr etwas fehlt. Erwachsene verlernen, sich richtig zu spüren, und ersetzen das zum Beispiel durch Konsum oder Geld. Die junge Sängerin fragte: „Wer hat euch das Land und das Wasser geschenkt, das ihr jetzt privatisiert? ... ihr großen, vernarbten, hilflosen Riesen, ihr wart doch auch einmal klein.“
An Bügeln war bei solchen existenziellen Fragen nicht zu denken. Ich überlegte, ob ich geworden war, was ich als Kind und Jugendliche nie sein wollte. Das zog die Frage nach sich, WAS ich damals eigentlich sein wollte – und WER ich jetzt eigentlich bin. Die Antwort fiel kritisch aus. Aber nicht vernichtend. Erleichtert griff ich zum nächsten Bügelstück.