So eine richtige Berufungsgeschichte habe sie gar nicht, erklärt Sr. Anna Elise Feuerstein. Die Barmherzige Schwester aus dem Kloster in Innsbruck lächelt nachdenklich.
„Ich habe relativ lange gebraucht um ein Bewusstsein dafür zu haben, was ,Berufung‘ heißt. Begegnungen mit Menschen, darunter auch mit vielen Nicht-Ordensmitgliedern haben mir dabei geholfen.“ Unter den ersten – im Nachhinein wegweisenden – Begegnungen war die mit einer Barmherzigen Schwes-ter aus dem Mutterhaus Innsbruck. Das junge Mädchen aus Bezau im Bregenzer Wald war von der selbstverständlichen, verinnerlichten Lebensweise der Ordensfrau beeindruckt: „Ihr Gesichtsausdruck hat etwas Ruhiges, Heiteres gehabt.“ Obwohl im Leben des Teenagers Kinder fix eingeplant waren und sie auch bereits „wusste“, wie ihr Mann aussehen werde, beschlich Anna Elise ein „Gefühl nach Mehr“: „Ich wusste nicht, was dieses Mehr ist, ich hatte nur dieses Gefühl.“ Mit 18 Jahren fasste die heute 75-Jährige den Mut und trat gegen den Willen ihrer Eltern in die Gemeinschaft der Barmherzigen Schwes-tern ein.
Enges weit gemacht
Im Laufe ihres Lebens lehrte sie an der Innsbrucker Krankenpflegeschule und leitete diese 20 Jahre lang. Anschließend übernahm sie die Leitung des Notburgaheimes in Eben am Achensee. An Begegnungen mit Menschen hat es ihr dabei nie gefehlt: „Ich bin dankbar für die Erfahrungen, die ich mit verschiedenen Menschen machen durfte, um mein Leben zu entdecken. Das hat etwas in mir weit gemacht, was zu eng war. Ich bin beschenkt worden.“ Besonders eindrücklich sind ihr die Erfahrungen mit unzähligen Schülerinnen im Gedächtnis geblieben. Beschenkt fühlte sie sich auch, wenn sie Lob und Anerkennung für ihre Arbeit empfangen durfte. „Ich habe Glück gehabt mit meinem Leben,“ sagt Sr. Anna Elise.
Durchlassen und Mut haben
In den letzten 30 Jahren ist Sr. Anna Elise „aufgegangen“ was „gerufen sein“ heißt: „Das Leben muss entfaltet werden. Der herab- gestiegene Gott will, dass dieses Leben glückt.“ Für ein geglücktes Leben müsse der Mensch bereit sein, „etwas durchzulassen“ und den Mut haben, Herausforderungen anzunehmen; eine Ansicht, nach der die Ordensfrau lebt. Mut hat sie auch der Schritt gekostet, trotz ihres Alters den 2002 gegründeten Kleinkonvent „Margarete Naseau“ zu übernehmen. Vier Schwestern leben – wirtschaftlich getrennt vom Großkonvent – in dem kleinen, gelben Haus hinter dem Mutterhaus der Barmherzigen Schwestern. Sie wollen, der ersten Barmherzigen Schwester Margarete folgend, die „Zeichen der Zeit“ wahrnehmen. Gäste, die Ruhe und Einkehr suchen, werden hier aufgenommen. Betreut werden sie von Sr. Anna Elise, dem „Mädchen für alles“, wie sie sich selbst schmunzelnd bezeichnet. Die Ordensfrau ist für Gespräche offen, beeinflussen will sie aber niemanden. „Ich bin froh, dass ich in meinem Alter noch so wirken kann,“ sagt sie, und ihr Blick hat etwas Ruhiges, Heiteres.
Hintergrund
Hinführen in ein schönes, weites Land
„Der Herr sprach: Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen, und ihre laute Klage über ihre Antreiber habe ich gehört. Ich kenne ihr Leid. Ich bin herabgestiegen, um sie (das Volk Israel) der Hand der Ägypter zu entreißen und aus jenem Land hinaufzuführen in ein schönes, weites Land.“ Ex 3,7f
Das „schöne, weite Land“ im zweiten Buch Mose stehe für das geglückte Leben jedes Menschen, meint Sr. Anna Elise. Der Gedanke des „Herausführens“ ist die Grundlage für ihre Arbeit und ihr Leben. „Ich möchte den Menschen vermitteln, dass Gott ein weites, schönes Leben für uns möchte.“ Dieses Leben beginne nicht erst nach dem Tod, sondern im Hier und Jetzt.